Willi Hajek ist am 3. Oktober 2022 im Kreis seiner Tochter und seiner Ehefrau Lila Boutaiba in Marseille gestorben. Hier hatte er seine neue Heimat gefunden, hier war er jetzt seinen Freund*innen und Genoss*innen von SUD solidaire, den Stadteilgruppen und den „Gelbwesten“ ganz nahe und konnte ihre Diskussionen und Kämpfe begleiten. Für uns wurde Willi seit 2017 „unser Mann“ in Frankreich, der uns über die dortigen Kämpfe aus der Sicht der emanzipatorischen Bewegungen berichtete. Einige Male konnten wir mit ihm noch gemeinsame Veranstaltungen in Berlin durchführen; zum letzten Mal im Frühjahr 2019 im Haus der Demokratie und Menschenrechte, wo er uns wieder einmal über den Stand der Gilets jaunes informierte und Lila über die algerische Revolte in ihrem Geburtsland berichtete.
Jede und jeder hat „seinen“ Willi in Erinnerung. Wir haben ihn 1993 im Bündnis Kritischer GewerkschafterInnen Ost-West kennen gelernt. Willi kam aus Bochum, wo er jahrelang in der Gruppe Oppositioneller Gewerkschafter (GOG) gewirkt hatte, nach Berlin und hat sich bald in die verschiedensten Gruppen und Initiativen eingebracht, die damals vor allem gegen die rasante Deindustriealisierung des Ostens und dann auch gegen die neoliberale Entwicklung in Ost und West eintraten.
In Willi hatten wir „Ostlinke“ in diesen Bündnissen einen Mitstreiter, dem wir nicht lange erklären mussten, was für verheerende Folgen die SED-Diktatur für die Arbeiterbewegung der DDR hatte und dass die DDR-Arbeiter:innen 1989 vor einem Neuanfang standen. So wie wir, hat Willi immer und überall die Unterstützung der praktischen Lernprozesse „an der Basis“ für seine wichtigste politische Aufgabe angesehen. „Selbstermächtigung“ war sein Begriff für einen Prozess, den er für entscheidend hielt, um eine Alternative zum kapitalistischen Arbeiten und Leben zu erreichen.
Solche Gemeinsamkeiten waren auch die Grundlage dafür, dass wir ab 2003 zusammen mit Richard Herding den „AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West“ ins Leben gerufen haben, der bis zu der erwähnten Veranstaltung 2019 in unterschiedlicher Intensität Veranstaltungen im Haus der Demokratie und Menschenrechte durchgeführt hat. Begonnen haben wir zum 50. Jahrestag des Arbeiter:innenaufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR; wir haben gefragt, wie er unser politisches Ost- bzw. Westverständnis geprägt hat und was unbedingt heute darüber vermittelt werden muss. Diese Veranstaltungen wurden zu einem spannenden Versuch, sich den historischen und aktuellen Bewegungen mit den unterschiedlichen Erfahrungen und Sichtweisen aus Ost und West zu nähern. Am Spannendsten – entschuldigt, liebe Besucher*innen unserer Veranstaltungen – waren für uns die langen Abende, an denen wir das jeweilige Thema vorbereitet haben: streitbar, und voller Neugier an der Meinung und Erfahrung der anderen, optimistisch und lebensfroh mit Käse und Wein.
Nicht von vielen Menschen lässt sich sagen, dass sich mit ihnen ein wichtiger Teil eigener politischer und menschlicher Entwicklung verbindet, ein gemeinsamer Lernprozess, an dessen Ende vieles neu und auch anders gedacht wird. Mit Willi war das möglich. Danke an Dich, Willi, dass wir so lange mit Dir zusammen arbeiten durften!
Renate und Bernd, AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
Berlin, im Oktober 2022
Erklärung zum Aggressionskrieg Russlands gegen die unabhängige Ukraine
Veröffentlicht von akgeschichteostwest am 22. März 2022 in Aktuelles
Wir verurteilen den am 24. Februar 2022 begonnenen Angriffskrieg der Russländischen Föderation gegen die unabhängige Ukraine auf das Schärfste. Dieser völkerrechtswidrige Krieg dient allein der Wiederherstellung eines reaktionären Großrussischen Imperiums in den Traditionen von Zarismus und Stalinismus. Die Leugnung der staatlichen Eigenständigkeit der Ukraine durch den russischen Autokraten Putin, die bis in die Gegenwart nicht erfolgte Anerkennung der Ungültigkeit des Hitler-Stalin-Pakts und der darauf gegründeten gewaltsamen Eroberungen durch die Sowjetunion sowie die Unterdrückung von politischer Opposition und Zivilgesellschaft innerhalb der Russländischen Föderation heute machen die Zielstellung dieses reaktionären Angriffskrieges überdeutlich: Dem Putin-Regime geht es nicht nur um die Abwehr der NATO im Überlebenskampf des reaktionären fossil-industriellen Renten-Kapitalismus Russlands in der Konkurrenz der kapitalistischen Weltmächte. Es geht ihm mehr noch um die Wiederherstellung des imperialen Völkergefängnisses Großrusslands mit den Mitteln des Autokratismus und Militarismus. Der Revanchismus des heutigen russischen Imperialismus ist eine Bedrohung für das Selbstbestimmungsrecht aller Völker und Staaten an den Grenzen der Russländischen Föderation vom Baltikum bis nach Kasachstan. Die Verhinderung aller Revolutionen gegen autokratische Regime im postsowjetischen Raum ist ein erklärtes außenpolitisches Ziel Moskaus.
Mit dem reaktionären Überfall auf die unabhängige Ukraine hat das Putin-Regime alle Argumente über legitime Sicherheitsinteressen Russlands, die namentlich die Einkreisungsstrategie der USA und ihres NATO-Anhangs gegenüber Russland betreffen, selber hinfällig gemacht; denn dieser Überfall wurde zum Geburtshelfer für die politische und militärische Wiederauferstehung einer schon für hirntot erklärten NATO und eines neuen Rüstungswettlaufes, auf den die kalten Krieger innerhalb der NATO-Staaten schon lange gewartet hatten. Um die NATO auf Distanz zu den Grenzen Russlands zu halten, hätte es selbst für das autoritäre Putin-Regime andere Möglichkeiten gegeben, als diesen Aggressionskrieg vom Zaun zu brechen; schon eine begrenzte militärische Destabilisierung der Ukraine wie im Donbas, hätte einen Beitritt des Landes in die NATO verhindert.
Doch der brutale Aggressionskrieg, den die Russländische Föderation heute gegen eine selbständige und unabhängige Ukraine führt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Krieg nur eine neue grausame Facette eines globalen imperialistischen Konkurrenzkampfes ist, in dem die USA ihren Platz als dominierende Weltmacht dadurch zu verteidigen suchen, dass sie Russland und China politisch, militärisch und ökonomisch stutzen, wo immer es geht. Sowohl hinsichtlich der Rüstungsaufwendungen als auch ökonomisch sind die NATO-Staaten der Russländischen Föderation bereits heute um ein Vielfaches überlegen. Und die von den NATO-Staaten und besonders von der deutschen Politik verurteilte Brechung von Völkerrecht und europäischer Friedensordnung durch Russland ist scheinheilig und verlogen. NATO-Staaten, voran die USA, haben seit 1989 zigfach gegen Völkerrecht und Friedensordnung verstoßen, im Nahen und Mittleren Osten, in Europa. Die rot-grün regierte BRD hat lange vor dem heutigen Gewaltakt Russlands, indem sie an der Seite der USA Serbien angriff, mit dazu beigetragen, die europäischen Grenzen kriegerisch durch die Abtrennung des Kossovo zu verändern. Dieser Kontext lässt uns zu entschiedenen Gegner:innen der heutigen Aufrüstungshysterie des deutschen Politikestablishements werden, das Menschenrechtsverletzungen, Kriegsopfer und Flüchtlingselend beschweigt, wenn das seinen Interessen nutzt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass wir als linke Aufrüstungsgegner:innen keine Partei für den Unabhängigkeitskampf in der Ukraine gegen die Aggression Russlands ergreifen. Unsere Solidarität und unsere praktische Unterstützung gehört allen Kämpfer:innen in der Ukraine und in Russland, die die Unabhängigkeit der Ukraine verteidigen und sich für eine radikale soziale Demokratie in der Ukraine wie in Russland einsetzen. Wir werden uns als emanzipatorische Linke nicht hinter allgemeinen geostrategischen Erörterungen über den Konkurrenzkampf kapitalistischer Weltmächte verschanzen, um eine vermeintliche Neutralität in diesem Konflikt vorzutäuschen, die faktisch eine Relativierung der Vergewaltigung eines kleineren Landes durch ein großes Land bedeutet.
Dabei verkennen wir keinesfalls den reaktionären Charakter des oligarchischen Systems in der Ukraine, die für das Land zerstörerische Einseitigkeit einer Politik der Westbindung und des NATO-Beitritts sowie den starken Einfluss ultranationalistischer und faschistischer Kräfte im Militär und in der Geschichtspolitik. Doch gehört es zu den Kapriolen der Geschichte, dass die Handlungsspielräume für emanzipatorische Bewegungen und politische Organisationen in der Ukraine um ein Vielfaches größer sind als in der nationalistischen Russländischen Föderation und erst recht in den russisch-chauvinistisch beherrschten Donbas-Republiken. Unter einer in diesem Krieg siegreichen Knute des imperialistischen Russlands wird es in der Ukraine wie auch in Russland keine geduldeten emanzipatorischen Bewegungen mehr geben. Schließlich ist der Kampf gegen „westliche Dekadenz“ und „Individualismus“ und der Kampf für „traditionelle Werte“ von „Familie“, „Glauben“ und Obrigkeitsstaat die ideologische Achse jener „neuen Weltordnung“, für die das imperialistische Russland nach innen und außen steht. Deshalb ist der Kampf um eine unabhängige Ukraine vor allem auch ein Kampf für die Freiheit von emanzipatorischen Bewegungen.
Doch solche komplexen Widersprüche interessieren eine ideologisch vernagelte und höchst einseitig auf den westlichen Imperialismus fixierte Linke nicht, die das Entstehen neuer Imperialismen im Osten und deren Verbrechen ignoriert oder relativiert. Deshalb verurteilen wir mit besonderer Schärfe namentlich jene „linken“ Lakaien des Putin-Regimes und seines Aggressionskrieges, die in der jungen welt oder in der rotbraunen Kommunistischen Partei der Russländischen Föderation wie bezahlte Agent:innen des Kreml in trauter Querfrontmanier mit Rechtsradikalen von Europa bis USA dem Aggressionskrieg des Putin-Regimes huldigen.
Im Kampf der imperialistischen Mächte gilt unsere Solidarität in dieser Situation allein der ukrainischen und russischen Bevölkerung, die sich gegen die imperialistische Aggression der Russländischen Föderation wehrt. Sie gilt insbesondere den Aktivist:innen einer freiheitlichen und multiethnischen, einer radikal demokratischen und sozialen Demokratie in der Ukraine und in Russland. Und sie gilt den Soldaten der russischen Armee, die desertieren, ihre Waffen niederlegen und sich mit den Verteidiger:innen der Unabhängigkeit der Ukraine verbrüdern.
Wir fordern den sofortigen Abzug aller Aggressionstruppen Russlands aus der Ukraine und einen Frieden ohne jegliche Annexion! Die endgültige Zugehörigkeit des Donbas und der Krim zur Ukraine oder zur Russländischen Föderation sollte in einem freien und fairen Volksentscheid unter UNO-Kontrolle mit Hilfe neutraler Militärmächte geregelt werden.
Für eine freie und unabhängige Ukraine ohne Putinismus und ohne Stalin- oder Bandera-Kult! Für eine freie und soziale Ukraine, für ein freies und soziales Russland – ohne Autokratie, Oligarchie und Nationalismus!
Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
Berlin, den 20. März 2022
Quelle: https://geschichtevonuntenostwest.wordpress.com/
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Abschied von Reinhard Schult
Foto: Wikipedia/Frank Ebert CC BY 3.0
Nur wenige Stunden nach seinem 70. Geburtstag ist Reinhard nach langer, schwerer Krankheit am 26. September 2021 gestorben. Lange Zeit war er im Berliner Sozialforum aktiv, wo er sich u.a. für die Aufklärung der Geheimdienst-Spitzeleien gegen das und innerhalb des Sozialforum engagierte. Als langjähriger, zentraler Akteur der Opposition gegen die SED-Diktatur und für eine freiheitliche, radikal demokratische DDR endete seine Eintreten für Menschen- und Bürgerrechte jedoch nicht mit dem Ende der DDR. Anders, als etliche seiner ehemaligen Mitstreiter:innen bis 1989 blieb er auch nach 1990 in der BRD aktiv im Kampf gegen Rassismus und Ausländer:innen-Feindlichkeit, für Bürgerrechte und gegen Überwachungssaat oder gegen die Kriegseinsätze. Bis an sein Lebensende gab er seine staats- und kapitalismuskritischen Überzeugungen nicht preis; nicht nur im Berliner Sozialforum engagierte er sich gegen den neoliberalen Umbau von Staat und Gesellschaft. Sein Eintreten für eine solidarische und freiheitliche Gesellschaft war von der Bergpredigt ebenso inspiriert wie von den Ideen Rosa Luxemburgs.
Wir werden dich nicht vergessen, Reinhard!
AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
Bernd Gehrke, Willi Hajek, Renate Hürtgentgen
Am 29. Oktober 2021, 12.oo Uhr, findet eine Trauerfeier in der Zionskirché statt
Unter dem Link findet Ihr ein Interview mit Reinhard Schult, dass uns Anne Seeck freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Seine Quelle ist: Anne Seeck (Hg.): Das Begehren, anders zu sein. Politische und Kulturelle Dissidenz von 68 bis zum Scheitern der DDR, Unrast-Verlag Münster 2012, S.105-115
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Nachruf für Werner Jahn
Liebe Leute,
wir müssen Euch die traurige Nachricht überbringen, dass unser Freund, Kollege und Genosse, Werner Jahn, bereits am 22. April 2020, in Dresden gestorben ist.
Am 17. Juni 2020 findet um 10 Uhr auf dem Friedhof „Urnenhain
Tolkewitz“, Wehlener Straße 15, Dresden, die Beerdigung statt.
Wir kennen leider die näheren Umstände seines Todes nicht. Die Nachricht kam für uns völlig überraschend, sie hat uns sehr traurig gemacht.
Werner Jahn hatte sich im Herbst 1989 in Berlin (Ost) der gerade
gegründeten oppositionellen Gruppe „Initiative für eine Vereinigte Linke“ angeschlossen. Sehr rasch begann er in der Betriebsgruppe der Vereinigen Linken zu arbeiten, denn ihn interessierten vor allem die notwendigen Veränderungen in den Betrieben der DDR. Als Betriebsrat engagierte er sich im Rechenzentrum der Deutschen Post für seine Kolleg*innen, für die Demokratisierung der Post und für Teilhaberechte der Beschäftigten. Wie groß war seine Enttäuschung, als er feststellen mußte, dass seine Kolleg*innen seine Hoffnungen auf eine radikale basisdemokratische Veränderung der betrieblichen Verhältnisse nicht teilten und die Verhältnisse in der BRD vorzogen. Dennoch blieb er seinen politischen Vorstellungen treu und engagierte sich auch in den
letzten Monaten der DDR und danach für eine basisdemokratische Gewerkschaftsbewegung und die kritische Begleitung der deutschen „Gewerkschaftseinheit“. Im November 1990 gehörte Werner zum Gründungskreis des „Bündnis‘ Kritischer GewerkschafterInnen Ost-West“ in
Berlin, in dem sich Betriebslinke aus Ost- und Westberlin
zusammengeschlossen hatten, um gemeinsam gegen die Privatisierung- und Deindustrialisierungspolitik der Regierungen in Bonn und Berlin Widerstand zu
organisieren. 2003 zog Werner von Berlin in seine Geburtsstadt Dresden, wo er sich über viele Jahre in verschiedenen linken Projekten engagierte, wie im Freien Radiosender ColoRadio, Attac oder der FAU.
Trotz aller Rückschläge und Enttäuschungen und trotz körperlicher Beschwerden, hat sich Werner bis zuletzt ins politische Geschehen eingemischt, hat jede wichtige Demonstration in Dresden oder anderswo besucht, ist zu allen ihm wichtigen Veranstaltungen nach Berlin gefahren. In langen eMails hat er auch die Veranstaltungen des AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West kritisch begleitet. So hat er stets aufs Neue die Beziehungen zwischen Linken in Berlin und Dresden aufrecht erhalten und sich seit 2019 in das „Netzwerk der Ost-Linken“ zur Vorbereitung einer linken Gegenerzählung gegen die herrschende Interpretation der DDR-Demokratiebewegung von 1989/1990 eingebracht. Mit
Penetranz forderte er ein, die Bedeutung der sozialen und Klassenfragen nicht zu vergessen, was ihm nicht nur Freunde unter den Linken einbrachte.
In den letzten Wochen hatte er sich zurückgezogen, kaum erreichbar für uns. Nun ist er tot. Wir werden ihn als treuen und lieben Freund vermissen.
Renate Hürtgen und Bernd Gehrke
AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost West
Link zur Traueranzeige in der SZ
https://www.sz-trauer.de/traueranzeige/werner-jahn/57212090
Nachruf der FAUDresden
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Bernd Gehrke, Mitglied im AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
Vorstand der Bank für Sozialwirtschaft
Herrn Prof. Dr. Harald Schmitz, Frau Stefanie Rüth, Pressestelle
Offener Brief an die Bank für Sozialwirtschaft
Weg mit dieser Schande!
Kinder und Enkel der Nazi-Täter/innen selektieren wieder Jüdinnen und Juden!
Ich protestiere gegen die Konto-Schließung der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Sehr geehrter Herr Prof. Schmitz, sehr geehrte Frau Rüth,
wie ich der Berichterstattung der Tageszeitung TAZ vom 20. Juni 2019 entnommen habe, hat die Bank für Sozialwirtschaft der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost das Konto bei Ihrer Bank gekündigt.
Wenn eine deutsche Bank einer jüdischen Organisation das Konto kündigt, kann das nicht anders bezeichnet werden als eine neue deutsche Schande! Wenn diese jüdische Organisation obendrein noch eine Organisation ist, die sich mit friedlichen Mitteln für die Einhaltung und Verwirklichung von Menschen- und Bürgerrechten einsetzt und die einen gerechten Frieden zwischen Jüd/innen und Palästinenser/innen anstrebt, ist das eine doppelte Schande!
Mit der Entscheidung, der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost das Konto zu schließen, sind sie nun die erste deutsche Bank seit der Nazi-Zeit, die das Konto von Jüdinnen und Juden sperrt.
Wie ich dem TAZ-Artikel von Stefan Reinecke entnehmen konnte, sind Sie am 31. Mai als Bank intern zu der Einschätzung gekommen, dass Ihre Bank „Plattform für einen innerjüdischen Konflikt“ geworden“ sei. Dennoch haben Sie Ihre Entscheidung mit der fehlenden Distanzierung der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost von der BDS-Bewegung begründet. Doch wie Sie der Tagespresse entnehmen konnten, haben inzwischen mehrere Hundert von jüdischen und israelischen Wissenschaftler/innen und Intellektuellen erklärt, dass diese Bewegung nicht antisemitisch ist.
Diese Erklärungen bekräftigen nur Ihre interne Einschätzung, dass es sich dabei um einen „innerjüdischen Konflikt“ über die Politik Israels gegenüber den Palästinenser/innen handelt. Das könnten Sie auch dem Internet entnehmen, weil die Jüdische Stimme Teil einer internationalen Jüdischen Organisation ist. Aber vermutlich wissen Sie das alles.
Diese realistische Einschätzung eines „innerjüdischen Konflikts“ macht Ihre Entscheidung umso verwerflicher. Denn hier geht es eben nicht um Antisemitismus, sondern um die Parteinahme in einem „innerjüdischen“ politischen Konflikt, in dem die israelische Regierung mit Hilfe ausländischer Lobby-Gruppen die jüdischen und nichtjüdischen Kritiker/innen ihrer menschen- und völkerrechtsverachtenden und zahlreiche UNO-Beschlüsse ignorierenden Politik mit dem Vorwurf des Antisemitismus neutralisieren will.
Mit der Entscheidung der Konto-Schließung durch Ihre Bank machen Sie sich bewusst zu einem wirtschaftlichen Büttel der politischen Zensur in Deutschland gegen jüdische wie nichtjüdische Kritiker/innen dieser menschen- und völkerrechtsverachtenden Politik Israels bezüglich der Palästinenser/innen. Gegen welche missliebige politische Ansicht werden Sie wohl als nächstes den Knüppel der Zensur schwingen?
Ihre Entscheidung macht deutlich, dass es also auch nicht ausschließlich um einen “innerjüdischen“ politischen Konflikt geht, sondern um die Meinungsfreiheit in Deutschland generell, in dem Sie gegen Menschenrechtsaktivist/innen vorgehen. Im dreißigsten Jahr der demokratischen Revolution in der DDR versetzen Sie mit Ihrer Entscheidung der Demokratie- und Menschenrechtsbewegung nicht nur in Israel, sondern gerade auch in Deutschland einen schweren Schlag.
Mit Ihrer Methode, durch wirtschaftlichen Druck bestimmte politische Ansichten zu unterdrücken, haben Sie Ihrer Bank, einer von vielen Sozialverbänden und NGO’s getragenen Bank, die sich den Menschen- und Bürgerrechten verpflichtet fühlen sollten, eine weitere Schande hinzu gefügt.
Sicher darf, kann und muss man in Deutschland über eine Bewertung der und Beteiligung an der BDS-Bewegung diskutieren. Doch daraus leitet sich niemals das Recht von nichtjüdischen Deutschen ab, erneut Jüdinnen und Juden politisch in „gute und nützliche“ sowie in „nicht gute und unnütze“ zu selektieren und die missliebigen mit wirtschaftlichem Druck der Zensur zu unterwerfen.
Ich fordere Sie auf, Ihren schändlichen Beschluss zurück zu nehmen und das Konto der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost bei Ihrer Bank dauerhaft zu garantieren! Anderenfalls kann man allen Menschen und Organisationen, die sich den Menschen- und Bürgerrechten sowie dem Völkerrecht verpflichtet fühlen nur raten, Ihre Bank zu ächten!
Allen Ihre Bank tragenden und Ihre Konten nutzenden Organisationen kann ich nur zu Bedenken geben, dass es wieder einmal höchste Zeit in Deutschland ist, die Meinungsfreiheit zu verteidigen und Solidarität mit den jüdischen und israelischen Menschenrechtsaktivist/innen zu üben.
Hochachtungsvoll
Bernd Gehrke
(Zeithistoriker und Publizist; ehem. Mitglied der Verfassungs-AG des Zentralen Runden Tisches der DDR)
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Die Wahrheit ist unsere Stärke!
Offener Brief an Mitglieder und Freund_innen der Roten Hilfe
Nach über zwei Jahren veröffentlichte die Redaktion der Rote-Hilfe-Zeitung infolge heftiger Auseinandersetzungen und Austritte insbesondere im Osten eine lang geforderte kritische Antwort auf die Ausgabe Nr. 4/2016. In dieser Ausgabe zur „Siegerjustiz“ in der BRD wurden die Vertreter_innen des SED-Apparates zur Unterdrückung der DDR-Bevölkerung zu armen „Opfern“ stilisiert. Im Heft 1/2019 erschienen nun zum Themenschwerpunkt „Repression gegen linke Oppositionelle in der DDR“ elf Beiträge, die die Repression gegen Linke innerhalb und außerhalb der KPD/SED und gegen emanzipatorische Bewegungen in verschiedenen Jahrzehnten der DDR beschreiben. Die Autor_innen sind Mitglieder und Sympathisant_innen der Roten Hilfe. Insgesamt drückt der Themenschwerpunkt den Stand linker Aufarbeitung von Repression in der DDR aus, wie er auch unter Historiker_innen im Umfeld der Linkspartei vorhanden ist. Artikel, die einen zwingenden Zusammenhang zwischen der Unterdrückung von linker Opposition sowie emanzipatorischen Bewegungen und dem System des diktatorischen Parteistaats herstellen, wurden allerdings nicht veröffentlicht.
Nach Erscheinen dieser Ausgabe begann ein politischer Shitstorm von DKP, Stasi-Kadern und ihren politischen Sympathisant_innen wie Ulla Jelpke und Klaus Hartmann. Es würde „Kübel weise Dreck über die DDR ausgegossen“ und sich „vor dem Antikommunismus in den Staub“ geworfen; die Artikel seien „niederträchtig“, ein „Skandal“ und nichts als Hetze gegen die DDR; Autoren_innen werden als „rote Helferlein“ politisch denunziert. Es wird sogar die Keule des Antikommunismus gegen die eigenen Genoss_innen geschwungen und den Autor_innen „Rote Hilfe für die Schwarzen“ unterstellt. Die junge Welt stellt sich hinter diese Pamphlete und argumentiert scheinheilig mit dem geringen politischen und intellektuellen Niveau der Artikel.
Derartige Angriffe gegenüber linken Kritiker_innen kennen wir aus DDR-Zeiten, und wir können nur froh sein, dass diese Leute keine Macht haben, ihren Hass auf die „feindlich-negativen Elemente“, wie es im Jargon der Staatssicherheit hieß, auszuleben. Die DKP und ihre Sympathisant_innen scheinen sich ihrer Sache allerdings sicher zu sein, wenn sie der Roten Hilfe sogar mit Spaltung drohen, sollte diesem Heft nicht widersprochen werden. Es ist die Sprache von „Stalins Enkeln“, die diejenigen treffen soll, die sich als Linke an die Aufarbeitung der DDRGeschichte gemacht haben.
Wir wissen, dass die Rote Hilfe zur Zeit besonderer politischer Angriffe ausgesetzt ist, und
wir protestieren entschieden gegen jeden staatlichen Angriff auf die Rote Hilfe. Doch weder solche Angriffe, noch Versuche staatskonformer Institutionen zur Instrumentalisierung der DDRAufarbeitung rechtfertigen einen unkritischen Umgang mit der DDR und der Geschichte der Linken. Im Gegenteil! Eine schonungslose kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte stärkt uns, wir werden unangreifbarer, lernen aus der Vergangenheit und gehen gestärkt in den Kampf gegen Rechts. Es sind die Unbelehrbaren, nicht die Autor_innen der RHZ 1/2019 , die mit der Verdrängung der Unterdrückungsgeschichte der SED-Diktatur den antikommunistischen Mainstream von heute stärken helfen.
Wir solidarisieren uns mit denjenigen Linken inner- und außerhalb der Roten Hilfe, die mit einer kritischen Aufarbeitung der DDR und des ganzen sogenannten Realsozialismus den Weg frei machen, eine sozialistische Zukunft jenseits von „Realsozialismus“ und Kapitalismus in Angriff zu nehmen.
Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Thomas Klein, Anne Seeck
Berlin, 30. 03. 2019
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Der nationalrevolutionäre Auftritt im Haus der Demokratie und Menschenrechte fand nicht statt!
Stellungnahme des AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West zur Erklärung der Redaktion der Zeitschrift Telegraph: „Brandtgefährlich!!!! Kein Podium für Nationalrevolutionäre im Haus der Demokratie und Menschenrechte!“
Der Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegung Ost-West (AK Geschichte) weist die von der Redaktion der Zeitschrift Telegraph gegen ihn in der o. g. Erklärung erhobenen Vorwürfe aufs Schärfste zurück. Es trifft weder zu, dass der AK Geschichte bei einer dem 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus gewidmeten Veranstaltung einen „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ habe auftreten lassen, noch wurde durch diese Veranstaltung der „antifaschistische Konsens“ im Haus der Demokratie und Menschenrechte (HdDM) verletzt. Ebenso entschieden weist der AK Geschichte die Behauptung der Telegraph-Redaktion zurück, unsere Veranstaltung stünde in irgendeinem Zusammenhang mit einer „Diskreditierung“ des Festes zum Tag der Befreiung im Haus der Demokratie und Menschenrechte am 8. Mai.
Die Erklärung der Redaktion Telegraph trägt einen verleumderischen und verlogenen Charakter, und die Verhaltensweise der Telegraph-Redaktion widerspricht elementaren Regeln antifaschistischer Solidarität.
Was ist geschehen?
Zum 70. Jahrestag der Befreiung hatte der AK Geschichte für mehrere Bildungseinrichtungen zwei Veranstaltungen organisiert. Die erste Veranstaltung, am 15. Mai, trug den Titel Zwischen Befreiung und neuer Weltordnung der Blöcke. Eine Veranstaltung gegen alte und neue Mythen; die zweite Veranstaltung am 22. Mai, die im Deutsch-Russischen Museum stattfand, hatte das Thema Zwischen Triumph und Trauma. Der 8. Mai 1945 in der Sowjetunion und in Russland heute. Die Erinnerung an das Ende des zweiten Weltkrieges.
Zur ersten Veranstaltung hatten wir Prof. Peter Brandt eingeladen, um über das Thema „Antikapitalistische Perspektiven 1945 und die verhinderte Neuordnung in Westeuropa und Westdeutschland“ zu sprechen. Peter Brandt ist als Mitglied der Historischen Kommission der SPD ein ausgewiesener Historiker der Geschichte der Arbeiter/innenbewegung, des antifaschistischen Widerstandes und der Europäischen Verfassungsgeschichte. Für unsere Einladung an ihn waren seine Forschungsarbeiten zur Neuentstehung der Arbeiter/innenbewegung und zu den Antifa-Ausschüssen und ihren Schicksalen im Jahre 1945 entscheidend. Die von Peter Brandt zum Thema „Linke und nationale Frage“ vertretenen Positionen sind zwar diskussionswürdig und stoßen in Teilen der Linken auf massiven Widerspruch; sie tragen jedoch keinen „nationalrevolutionären“, von der konservativen Revolution geprägten völkisch-nationalistischen Charakter und waren zudem nicht Gegenstand unserer Veranstaltung.
In ihrer am Veranstaltungsabend verteilten Protesterklärung hatte die Redaktion Telegraph mit hysterischen Worten wie „Brandtgefährlich!!!! Kein Podium für Nationalrevolutionäre!“ gegen den Vortrag Peter Brandts protestiert und erklärt, dieser „sei für einen Auftritt in einem Haus der Demokratie und Menschenrechte“ nicht geeignet. Brandt sei als SPD-Mitglied ein „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“, der in „Medien der ‚Neuen Rechten’“ publiziere. Dabei wurde ein Zusammenhang zwischen unserer Veranstaltung bzw. dem Auftritt von Peter Brandt zu einem angeblichen Versuch unseres Arbeitskreises hergestellt, das Hausfest zum Tag der Befreiung zu „diskreditieren.“ Auf der Grundlage einer dem Wortlaut der Erklärung gleichen Presseerklärung erschien am 18. Mai in der TAZ dann ein Artikel, der die Verleumdungen des Telegraph ungeprüft wiederholte.
Die Protesterklärung des Telegraph bemühte kein einziges Argument, weshalb Peter Brandt ein „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ sei. Die Links zu Artikeln über Peter Brandt, die als Anhang der Erklärung verteilt und sodann verschickt wurden, machen jedoch deutlich, dass die erhobenen Vorwürfe aus Quellen stammen, die „rechte Nationalrevolutionäre“ von „linken Patrioten“ weder unterscheiden können noch wollen, erst recht nicht die internen Differenzierungen der Letzteren. Am Ende wird aus der Erklärung der Telegraph-Redaktion dann auch sichtbar, dass der Protest gegen den Auftritt Peter Brandts nicht nur aus der Perspektive von „Antifaschisten“, sondern zugleich auch aus der gegen alle „Linksnationalen“ erfolgt. Damit werden „linke Patrioten“ – also auch das Gros des Widerstands aus den Reihen der Arbeiter/innenbewegung gegen den Hitlerfaschismus – aus dem Antifaschismus der Redaktion Telegraph ausgeschlossen.
Obwohl der Redaktion des Telegraph bereits Tage vor der Veranstaltung bekannt war, dass unsere Recherchen zur Person Peter Brandts zu einem Festhalten an der Einladung führen würden, hatte die Telegraph-Redaktion keinerlei Kontakt zu uns aufgenommen und Widerspruch angemeldet. Auch dies macht deutlich, dass die Redaktion des Telegraph sich mit ihrer „antinationalen“ Phobie die Rolle von Ajatollas und Obersten Richtern des Antifaschismus anmaßt. Die erhobenen Vorwürfe dienen ausschließlich der Denunziation unseres Arbeitskreises wie des Stiftungsvorstands. In beiden Einrichtungen sind entschiedene Antifaschist/innen tätig, die erst unlängst gegen die Neue Rechte mobilisiert hatten. Zudem war Peter Brandt bereits im letzten Jahr für die VVN-BdA im Haus der Demokratie und Menschenrechte aufgetreten, um über den antifaschistischen Widerstand zu sprechen.
Unsolidarische Reaktion der Telegraph-Redaktion
Empörend am verleumderischen Vorgehen seitens der Telegraph-Redaktion ist weiterhin, dass sie in ihrer nach unserer Veranstaltung verbreiteten Presseerklärung unseren politisch-praktischen Umgang mit den uns mitgeteilten Informationen über die Kommunikation Peter Brandts mit rechten Medien unterschlägt. Denn unmittelbar nach diesen Hinweisen haben wir eine umfangreiche Recherche durchgeführt, ob Peter Brandt inzwischen in die „rechte Szene abgewandert“ sei. Obgleich wir selbst strikt jede Kommunikation mit rechten Medien ablehnen und solchen Umgang als sehr problematisch ansehen, sind wir dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass Peter Brandt nach wie vor ein linkssozialdemokratischer Historiker ist, was in seinen Texten mehr als deutlich wird.
Gemeinsam mit dem Vorstand der Stiftung HdDM beschlossen wir, die Veranstaltung wie geplant durchzuführen und Vorbehalte gegen Peter Brandt wie auch das Ergebnis unserer Prüfung in einer gemeinsamen Erklärung am Beginn vorzutragen sowie den Teilnehmer/innen die Möglichkeit einzuräumen, an den Referenten und uns Fragen zu stellen. Eine solche transparente Verfahrensweise sehen wir als die einzig mögliche Form eines emanzipatorischen Umgangs mit auftretenden Konflikten an. Das Diskussionsangebot wurde jedoch von dem anwesenden Redakteur des Telegraph, Dietmar Wolf, der zuvor die Protesterklärung verteilt hatte, nicht wahrgenommen. Nachdem unsere Erklärung verlesen und die Bitte um Fragen ans Publikum ergangen waren, verließ er still schweigend den Raum. In der per Presseerklärung am nächsten Tag vom Telegraph verbreiteten Erklärung findet sich davon jedoch nichts wieder.
Hintergründe der Verleumdung
Auch der von der Redaktion des Telegraph in ihrer Erklärung hergestellte Zusammenhang zwischen einer „Diskriminierung“ des Tags der Befreiung im HdDM und unserer Veranstaltung beruht auf einer bloßen Verleumdung. Die Wahrheit ist, dass es in der Stiftung des Hauses einen Konflikt um die Gestaltung des Tags der Befreiung gibt, weil der Telegraph als maßgeblicher Organisator des Festes in den vergangenen Jahren im Namen des gesamten Hauses ein einseitig prosowjetisch orientiertes Fest durchgeführt hat. Eine solch einseitige Ausrichtung entspricht jedoch nicht der Vielfalt und Breite der antifaschistischen Organisationen, die im Haus vertreten sind. Diese erwarten ein Fest, welches nicht nur allen Alliierten danken müsste, sondern vor allem den Soldat/innen, Partisan/innen und Widerständler/innen. Auch in diesem Punkt geht es darum, dass die sektiererische Praxis der Redaktion des Telegraph maßgeblich verantwortlich für die entstandenen Konflikte ist.
Im Vorwurf an den AK Geschichte, den 8. Mai „debattieren“ und nicht „feiern“ zu wollen, kommt jedoch ein über die aktuellen Anlässe weit hinaus gehender und tiefer reichender Konflikt innerhalb der Linken zum Ausdruck. Bis heute verstehen große Teile der Linken die Geschichte als mythologischen Vorrat ihrer eigenen Identitätsbildung und linker Ersatzreligionen, nicht als Baustelle für die Produktion von Erkenntnissen. Der AK Geschichte hat sich im Jahre 2003 unter anderem auch deshalb gebildet, um historische Ereignisse einer kritischen Neusichtung zu unterziehen, damit sie für emanzipatorische Bewegungen der Gegenwart erschlossen werden können. Die Zerstörung nicht nur bürgerlicher, sondern gerade auch linker Mythen und die Freilegung der treibenden Widersprüche auch in der Vergangenheit ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Eben hierin sieht der AK Geschichte seine Funktion für eine emanzipatorische Linke.
Unsere Antworten auf die Verleumdungen des Telegraph
Dieser selbst gestellten Aufgabe entsprechend, wird der AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West jene durch die Veranstaltung mit Peter Brandt aufgebrochenen Konflikte als produktive Herausforderung begreifen und die damit zusammenhängenden Probleme öffentlich thematisieren. Als erstes werden wir uns in einer Veranstaltung mit den Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Grenzen einer Kommunikation von Antifaschist/innen ‚nach rechts’ in Zeiten von AfD, Pegida und Co. beschäftigen. Angesichts des europaweit anschwellenden Rechtspopulismus halten wir dies für eine politisch nicht nur brisante, sondern auch existenziell wichtige Frage für eine Linke, die den Kampf um die Hegemonie in der Gesellschaft endlich aufnehmen muss.
Von der Redaktion des Telegraph erwartet der AK Geschichte nicht nur eine Entschuldigung für seine verleumderische Erklärung, die andere Antifaschist/innen wie Peter Brandt ins „rechte Lager“ stellt und uns unausgesprochen, aber faktisch, zu „Handlangern“ der Neuen Rechten macht. Zudem ist die Redaktion des Telegraph ihren Leser/innen eine Erklärung darüber schuldig, wie dieses Pamphlet zustande kam. Es ist in Inhalt wie Form eine Schande für eine Zeitschrift, die den Anspruch erhebt antifaschistisch zu sein. Schlimmer als die aktuelle Redaktion es gerade getan hat, lassen sich Begriffe wie „Antifaschismus“ oder „Nationalrevolutionär“ wohl kaum vulgarisieren. Mit ihrem Verhalten hat die Redaktion des Telegraph ihr Sektierertum mehr als kenntlich gemacht und einer breiten antifaschistischen Widerstandsbewegung einen Bärendienst erwiesen.
Berlin, den 7. Juni 2015
AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
Bernd Gehrke, Willi Hajek, Renate Hürtgen
Mehr Informationen: https://geschichtevonuntenostwest.wordpress.com/aktuelle-debatte/
Erklärung vom 15. Mai 2015 zur Veranstaltung mit Peter Brandt
Der Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West hat zwei Veranstaltungen anlässlich des 70. Jahrestages des Sieges über den deutschen Faschismus in Zusammenarbeit mit der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte vorbereitet. Zur Diskussion des Themas „Zwischen Befreiung und neuer Weltordnung der Blöcke“ wurde Prof. Dr. Peter Brandt eingeladen, weil er sich als Historiker intensiv mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, namentlich mit der nach 1945, beschäftigt
Arbeitskreis und dem Vorstand der Stiftung gegenüber wurden jedoch Vorbehalte gegen den Referenten geäußert. Als Grund wurden ein Interview Peter Brandts im Blatt der Neuen Rechten Junge Freiheit sowie andere Veröffentlichungen in rechten Medien und ein Vortrag bei einer Burschenschaft genannt.
Da der AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West und die Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte nicht nur antifaschistische Positionen vertreten, sondern angesichts des verstärkten Auftretens rechtspopulistischer Bewegungen wie PEGIDA auch entschieden dagegen mobilisiert haben und jede Querfrontpolitik ablehnen, haben wir diese Bedenken einer ernsthaften Prüfung unterzogen.
Aus unserer Sicht ist eine Publikation in dem Leitmedium der Neuen Rechten in der Bundesrepublik grundsätzlich problematisch und eine politische Debatte mit Zeitschriftenprojekten wie der „Jungen Freiheit“ gehört nicht in unsere eigene Praxis. Jedoch muss das Haus der Demokratie und Menschenrechte auch ein Ort der politischen Kontroverse bleiben und sehr achtsam mit Ausladungen und Ausgrenzungen umgehen.
Im Ergebnis unserer Recherchen stellen wir fest, dass Peter Brandt ein kompetenter sozialdemokratisch-linkssozialistischer Historiker ist, weswegen er auch von uns eingeladen wurde, zu dem heutigen Thema zu sprechen. Peter Brandts Kommunikation mit rechten Medien ist aus unserer Sicht kein Ausdruck seiner Verankerung in rechten Kommunikations- und Politikstrukturen. Die von ihm dort vertretenen inhaltlichen Positionen belegen dies eindeutig. Peter Brandt ist neben seiner Arbeit an der Universität gewerkschaftlich und parteipolitisch im Umfeld von SPD und Linkspartei tätig. Auch die Gespräche, die wir in den letzten Tagen mit ihm geführt haben, überzeugten uns.
Aus diesen Gründen sind wir bei unserer Einladung an Peter Brandt geblieben und werden die Veranstaltung wie geplant durchführen.
AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
Vorstand der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte
Berlin, den 15. 5. 2015
Was ist los im Haus der Demokratie und Menschenrechte?
Offener Brief von Renate Hürtgen
Liebe Freund/innen, liebe Kolleg/innen,
vor einigen Tagen habt Ihr eine Erklärung der Redaktion Telegraph, „Brandgefährlich – Kein Podium für Nationalrevolutionäre im Haus der Demokratie und Menschenrechte!“, erhalten. In ihr wird u. a. auf eine Gruppe im Haus verwiesen, welche ein Fest zum 8. Mai 1945 verhindern wolle. Im weiteren Kontext wird klar, dass dieselben Personen eine Veranstaltung organisiert haben, die Peter Brandt, einen „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ als Referenten eingeladen haben. Der Kontext macht auch klar, dass es sich dabei also um einen ebenfalls dem rechten Lager zuzurechnenden Kreis handelt, mein Name wird genannt. Seit der Veröffentlichung dieses Telegraphbriefes an die Presse, werde ich von meinen politischen Freund/innen gefragt, was denn da im Hause los sei und ob die Redaktion des Telegraph nicht bei Troste ist, derartiges über mich zu verbreiten. Um nicht jedem Nachfrager einzeln antworten zu müssen, versuche ich eine kurze Erläuterung.
Sei über zwei Jahren bin ich nach langer Pause wieder als Kuratorin der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte tätig, in jenem „Entscheidungsgremium“, von dem auch die Redaktion Telegraph spricht. In Vorbereitung eines Festes am 8. Mai 2014, das bereits einige Male als Hausfest durchgeführt worden war, erfuhr ich von einer heftigen Kontroverse im Kuratorium und in der Stiftung. U. a. berichteten die einen davon, dass sie sich künftig nicht an einer Feier beteiligen wollen, auf der wie in der Vergangenheit geschehen eine stalinistische Lobeshymne abgespielt wird, andere bestritten das Abspielen solcher Hymne bzw. meinten, da sie von dem DDR-Dichter Stephan Hermlin ins Deutsche übersetzt sei, der inzwischen dem Stalinismus abgeschworen hatte, könne man sie abspielen. Der Konflikt ging jedoch viel weiter als diese Kontroverse um die stalinistische Hymne zum Ausdruck brachte. In einer Diskussion und Auswertung des Festes am 8. Mai 2014 im Kuratorium wurde deutlich, dass ein Fest zum Tag der Befreiung, das wie bis dato vom Telegraph im Namen des ganzen Hauses organisiert wurde, aber ausschließlich den Sieg der Roten Armee gegen den deutschen Faschismus feiert, kein Hausfest legitimiert, in dem sich alle im Haus vertreten fühlen; dass ein Fest, das alle anderen Befreier außen vor lässt, die Soldaten der Alliierten, die Widerständler und Partisanen ausblendet, nicht im Namen des Hauses stattfinden kann. Hinzu kam, dass eine Mehrheit im Kuratorium der Stiftung Haus der Demokratie beschloss, dass, wenn ein Hausfest im nächsten Jahr stattfinden sollte, es unbedingt die historischen Ambivalenzen dieses Tages einbeziehen muss. Dieses Ergebnis war Ausdruck des Selbstverständnisses des Hauses, das auch ein Haus der Menschenrechte ist und in dem ein breites politisches Spektrum von Gruppen respektive Nutzer/innen arbeitet, von denen nur die wenigsten diese einseitige und zudem völlig unkritische und unreflektierte Orientierung auf den Sieg der Sowjetunion mittragen können. Wenn eine dieser Gruppen ihr eigenes politisches Verständnis zum Maßstab für alle setzt, ist der Charakter des Hauses gefährdet.
Was nun begann, werden wohl die Vertreter des Telegraph im Kuratorium irrtümlich als „Klassenkampf“ verstanden haben: Sie sorgten maßgeblich dafür, das Sebastian Gerhardt, der Vorstandvorsitzende, das Handtuch warf, sie erschwerten die Arbeit im Kuratorium durch unflätiges und unkonstruktives Auftreten. Ihr „Kampf“ richtet sich mit ganzer Härte gegen die „Gegner“, die das Fest der Befreiung mit ihrer Kritik an der bisherigen einseitigen und unkritischen Ausrichtung und dem geschilderten Anliegen einer breiten und kritisch-reflektierenden Ausrichtung „diskreditieren wollen,“ zumal gegen jene, die „unbedingt im Rahmen des 70. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus über Stalinismus sowie die Nachkriegsgeschichte Europas debattieren“ wollen. Wer nicht wie die Redaktion des Telegraph die Feste in der Art des Telegraph feiere, wer sogar noch über den Stalinismus diskutieren wolle, gehöre in die „rechte Ecke.“
Wenn es nicht so ernst wäre, weil diese sektiererische Haltung natürlich dem Haus mit seinen Dutzenden darin vertretenen Organisationen sehr schadet, kann mensch eigentlich nur den Kopf schütteln. Leider jedoch sind bündnisunfähige Menschen in einem Haus, das ohne große Toleranz und gegenseitige Achtung auch vor der politisch anderen Sozialisation und Meinung keinen Bestand hat, eine große Gefahr.
Nun also ihr Vorgehen gegen unsere Veranstaltung. Die Redaktion des Telegraph outet sich als „antinational“, übernimmt von den „Antideutschen“ deren Bezeichnung des Historikers Brandt als „Nationalrevolutionär,“ also dem völkisch-nationalen Lager zugehörig und tritt an, diese Veranstaltung zu verhindern. Wer nicht durch diese Brille guckt, weiß, dass Brandt ein linkssozialdemokratischer Historiker ist, der in seinen Auffassungen zur Nation Robert Havemann nahe steht, eben jenem Havemann, nach dem unser Saal im Haus benannt ist. Die Redaktion Telegraph hat es bei ein paar Anschuldigungen in einer Erklärung belassen, der Aufforderung, mit Peter Brandt zu diskutieren, kam sie nicht nach. Das alles wundert mich umso mehr, als es in der Redaktion auch Personen gibt, deren politisches Verständnis bisher nicht dem antinational-antideutschen Spektrum einzuordnen war.
Mit unserer Veranstaltung verband sich allerdings eine bündnispolitisch tatsächlich schwierig zu entscheidende Frage, nämlich die, ob ein Referent hier auftreten darf, der in der „Jungen Freiheit“ und anderen Medien der Neuen Rechten publiziert hat, ohne eine sogenannte Querfrontpolitik zu vertreten. Obwohl Brandt im letzten Jahr schon einmal als Referent der VVN-BdA eingeladen gewesen war, und die bisherige Praxis der Stiftung darin bestand, sich in der Diskussion mit solchen Referenten zu positionieren, werden wir diese Frage im Kuratorium neu diskutieren müssen; Bündnispolitik muss überprüft werden und sich veränderten Entwicklungen stellen. Diesmal haben sich die Veranstalter, die eine solche Publikationspraxis strikt für sich selbst ablehnen, dafür entschieden, die Veranstaltung durchzuführen und ihr eine Erklärung vorangeschickt. (siehe Anhang)
Liebe Freund/innen, liebe Kolleg/innen,
im Haus der Demokratie und Menschenrechte ist kein Rechtsruck erfolgt, auch nicht durch eine politische Minderheit, der die Vertreter des Arbeitskreises Geschichte sozialer Bewegungen Ost West angehören sollen. Vielmehr müssen wir als Kurator/innen, Vorständler/innen der Stiftung und Nutzer/innen des Hauses gemeinsam dafür sorgen, dass nicht einzelne Organisationen sich mit ihren politischen Vorstellungen und ihrer politischen Praxis allgemein setzen und fürs ganze Haus sprechen. Das Haus der Demokratien und Menschenrechte in der Greifswalder Straße 4 mit über 60 Nutzer/innen und dem Spektrum, das von Memorial, Amnesty International Bezirk Berlin Brandenburg, dem Entwicklungspolitischen Ratschlag bis eben zur Redaktion des Telegraph reicht, ist ein kleines politisches Wunder; diese Vielfalt und Breite gibt es in Berlin nicht ein zweites Mal. Wer keine Freude an dieser Vielfalt hat und keinen Stolz auf seine Bündnisfähigkeit kennt, ist bei diesem Projekt fehl am Platz.
Renate Hürtgen, Berlin, 24. 05. 2015
Bernd Gehrke, AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West
28.05.2015
Liebe Freund/innen und Genoss/innen,
vor einer Woche habe ich an eine Kollegin aus der linken Historiker/innen-Zunft einen Brief zum Auftritt von Peter Brandt in unserer AK-Veranstaltung geschrieben, der einige Aspekte enthält, die so nicht im Offenen Brief von Renate Hürtgen zu diesen Ereignissen angesprochen wurden. Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, diesen Brief in leicht modifizierter Form, z.B. gekürzt um Details der Auseinandersetzung mit dem Telegraph im Haus der Demokratie und Menschenrechte, zu veröffentlichen.
Mit solidarischen Grüßen
Bernd Gehrke
Wir waren und sind keine Plattform für die Neue Rechte
Brief an eine Kollegin zu unserer Veranstaltung mit Peter Brandt am 15. Mai 2015
Liebe C.,
wir bereiten als AK gerade eine Stellungnahme für die Allgemeinheit über unsere Veranstaltung am 15. Mai 2015 vor, bis dahin aber eine Zwischeninfo, damit uns Dein und Euer Ohr noch geneigt bleibt. Renate hat ja inzwischen einen Offenen Brief zu einigen Aspekten geschrieben, die das Haus der Demokratie und Menschenrechte betreffen.1. Wir sind – und das betrifft vor allem mich als hauptverantwortlichen Organisator dieser Veranstaltung – mehr in diesen Konflikt, wie er sich jetzt entwickelt hat, hinein gestolpert, als dass wir ihn von Anfang an gesucht hätten. Obgleich dies alles nicht das Thema unserer Veranstaltung war, hatte ich als Einlader Peter Brandts mit inhaltlichen Bedenken gegen seine Vorstellungen hinsichtlich „Linke und Nation“ natürlich gerechnet, auch in der Art, wie Du sie formuliert hattest. Das auch schon deshalb, weil ich selbst etliche Kritikpunkte an seinen diesbezüglichen Vorstellungen habe, wenn auch anderer Art als Du. Doch hatten wir ihn ja nicht wegen seiner Auffassungen zum Thema „Linke und Nation“ eingeladen, sondern wegen seiner Beiträge zur Wiederauferstehung und zur Entwicklung der Arbeiter/innenbewegung in Deutschland und Europa 1945 und danach.
Die meisten Kritiker/innen von ihm wissen nicht einmal und interessieren sich auch nicht dafür, dass maßgeblich durch seine Arbeiten die Antifa-Ausschüsse 1945 in Deutschland überhaupt erst für die Forschung und die Linke wieder entdeckt wurden und maßgeblich zur Forschung darüber in BRD und DDR beigetragen haben. Ein Schlüsselband, den er angeregt hatte und in dem viele noch heute bekannte Historiker/innen vertreten waren hieß „Arbeiterinitiative 1945.“ Arbeiten wie etwa Suckuts Darstellung der Betriebsrätebewegung in der SBZ, Arbeiten Lutz Niethammers oder als Kontroverse auch die materialreiche Untersuchung von Harold Hurwitz über Demokratie und Antikommunismus in Berlin seien beispielsweise genannt.
Im Unterschied zu vielen anderen von damals steht Peter Brandt jedoch noch heute für den („demokratischen“) Sozialismus, wofür auch seine letzten gesellschaftspolitischen Artikel sprechen, die für mich eine der Grundlagen seiner Einladung waren. So etwa der Ende 2013 in den Blättern für deutsche und internationale Politik veröffentlichte gemeinsame Artikel mit den Brüdern Brie und Frieder O. Wolf über die Wiederbelebung eines neuen linken Projekts, in dem für ein solidarisches Europa plädiert wird (vgl. https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/november/fuer-ein-voellig-neues-crossover).
Eben deshalb war Peter Brandt ja für uns interessant, eben deshalb hatten wir zum Thema auch eine ausgesprochen interessante Veranstaltung, in der er über „Antikapitalistische Perspektiven 1945 und die verhinderte Neuordnung in Westeuropa und Westdeutschland“ sprach.
Gerade weil wir vom AK vor Jahren einen Auftritt von Bernd Rabehl verhinderten, der damals bereits in den Kommunikationsstrukturen der Neuen Rechten fest verankert war und seine „nationalrevolutionäre Uminterpretation“ von Rudi Dutschke und der APO feil bot, also sowohl formal wie inhaltlich in der Neuen Rechten gelandet war, sind wir sehr empfindlich, was die Neue Rechte angeht. Außerdem sind wir strikte Gegner/innen jeder Querfront. Ich weiß nicht, ob Du darüber informiert bist, dass die öffentliche Mobilisierung gegen PEGIDA maßgeblich auch von uns ausging.
Deshalb hat mich nicht Deine inhaltliche Kritik an Brandt erschreckt, sondern der Hinweis auf Brandts Interview in der Jungen Freiheit. Zwei Tage nach Deiner Mail erhielt ich dann aus dem Umfeld des Telegraph eine persönlich gehaltene Mail mit dem Link zum Artikel von Niklas Meyer in der Jungle World. Der antideutsche Unsinn, der Brandt als „linken Patrioten“ titelte, ihn substanziell aber zum rechten, also völkisch-nationalistischen „Nationalrevolutionär“ abstempelte, war dabei für mich auch nicht entscheidend. Doch die Darstellung seiner Kommunikation mit der Neuen Rechten hat natürlich mich und uns sehr erschreckt. Beides zusammen, Deine Mail und der Artikel, hatte dazu geführt, dass wir nun noch einmal intensiv prüften, ob wir die Veranstaltung mit ihm stattfinden lassen sollten. Wir haben deshalb nicht nur im Internet nach den Inhalten von Brandts Kommunikation mit der Neuen Rechten sowie seiner sonstigen gesellschaftspolitischen Vorstellungen recherchierten, sondern auch mit Kolleg/innen in seinem Umfeld sowie mit ihm selbst gesprochen.
Obwohl wir diese Kommunikation mit der Rechten weder verstehen noch akzeptieren, sind wir dennoch zum Gesamturteil gekommen, dass Peter Brandt weder inhaltlich, noch in seiner Kommunikationspraxis zum Teil der Neuen Rechten geworden ist.
Dabei spielten für uns auch zwei Vorgänge eine wichtige Rolle, die für die Entscheidung, an der Einladung Brandts fest zu halten, eine wichtige Rolle: Zum einen war Peter Brandt als Referent mit einem Thema zum antifaschistischen Widerstand bei der VVN-BdA bereits im Sommer letzten Jahres im Haus der Demokratie und Menschenrechte aufgetreten, ähnlich ebenso bei der RLS. Also eben nicht mit „Querfrontthemen“ o.ä.
Zum anderen aber hatten wir die erschreckende Tatsache recherchiert, dass die „halbe SPD“ inzwischen der Jungen Freiheit Interviews gegeben hat, angefangen von Egon Bahr oder dem verstorbenen SPD-Oberintellektuellen Peter Glotz. Peter Brandt war damit für uns Teil eines allgemeineren Problems geworden. Nun können wir gern über die SPD und dieses Verhalten ihrer Granden diskutieren, aber dass sie aus dem Haus der Demokratie und Menschenrechte als Diskussionspartner/innen deshalb ausgesperrt werden, wäre ein Unding. Das Haus in seiner politischen Breite ohnehin, aber auch unser AK, der sich als Teil der internationalistischen Bewegungslinken versteht, ist kein Sektiererklub. Für uns und das Haus ist der Auftritt von Neuen Rechten und Faschisten das No-Go, nicht die Idiotien von anderen ihnen gegenüber. Das muss in Grenzfällen natürlich individuell ausgelotet und entschieden werden. Sarazin ist schließlich Rassist, trotz SPD-Mitgliedschaft und ein völlig anderer Fall als Peter Brandt. Aber die Maßstäbe linksradikaler Sektierer/innen können für uns kein Kriterium sein.
Aus diesem Gründen haben wir nach der erneuten Prüfung entschieden, dass wir bei der Einladung an Peter Brandt bleiben. Wir beschlossen jedoch am Beginn der Veranstaltung eine Erklärung zu verlesen und eine Viertelstunde für Fragen an Peter Brandt und uns einräumen. Dem hatte auch Peter Brandt zugestimmt, dem wir unser Verfahren vorher mitteilten. Anschließend sollte die Veranstaltung wie geplant stattfinden. Und genau so war auch der tatsächliche Veranstaltungsablauf.
Dietmar Wolf als Redakteur des Telegraph verteilte am Veranstaltungsabend eine Erklärung am Eingang, die dann am nächsten Tag als Presseerklärung breit gestreut wurde. Auf unsere Erklärung zur Entscheidung für den Auftritt Brandts wurde dabei mit keiner Silbe eingegangen. Peinlicher noch: Nachdem Renate Hürtgen als Moderatorin unsere Erklärung verlesen und den Anwesenden die Möglichkeit von Fragen eingeräumt hatte, verließ Dietmar Wolf still schweigend den Raum. Sonstige Kritiker/innen des Auftritts von Brandt waren ohnehin nicht anwesend. Obgleich etliche Linke und Linksradikale im Publikum saßen, stieß unsere Erklärung auf Zustimmung, wie auch unsere Nachfragen nach der Veranstaltung ergaben. Lediglich eine Frau befragte Peter Brandt nach den Gründen seines Interviews für die Junge Freiheit. So begann nach 10 Minuten unsere Veranstaltung, verlief planmäßig und brachte eine interessante Diskussion zustande. Umso übler die Art und Weise der denunziatorischen Attacke der Redaktion des Telegraph, die am nächsten Tag als Presseerklärung veröffentlicht wurde.
2. Bei genauem Lesen der Erklärung des Telegraph wird deutlich, dass die Behauptung, dass Peter Brandt ein „Vertreter nationalrevolutionären Denkens“ sei, ohne jede Begründung bleibt. Die Erklärung dient lediglich der Denunziation und einem Kampf unter der Gürtellinie. Das wird daran deutlich, dass der Auftritt Peter Brandts in einen Kontext der „Denunziation des Tags der Befreiung“ durch „eine Minderheit“ im Haus der Demokratie und Menschenrechte gestellt wird, was sich vor allem gegen Personen aus dem Umfeld des Vorstandes der Stiftung und Renate Hürtgen richtet, die seit einiger Zeit als Kuratorin in der Stiftung tätig ist. Denn der Telegraph hatte seit Jahren versucht, sein sektiererisches und auf ein einseitiges und unkritisches Feiern des „Sieges der Roten Armee“ orientiertes Befreiungsfest am 8. Mai als Feier des gesamten Hauses durchzusetzen. Renate ist ja in ihrem Offenen Brief auf Details eingegangen …
Die denunziatorische Art der Kritik, die Peter Brandt in den Kontext der konservativen Revolution und der „linksfaschistischen“ Nationalrevolutionäre stellt und uns unausgesprochen, aber faktisch, zu Steigbügelhaltern der Neuen Rechten macht, dient ausschließlich instrumentellen Zwecken der Auseinandersetzung im Haus. Das wird daran auch deutlich, dass der Telegraph kein Wort der Kritik äußerte, als Peter Brandt vor einem dreiviertel Jahr bei der VVN-BdA im Haus auftrat. Und diese Veranstaltung ist ihnen ganz bestimmt nicht entgangen.
Zudem wird in der Erklärung gegen unsere Veranstaltung erkennbar, dass die Telegraph-Leute gegen den Auftritt Peter Brandts nicht nur „als Antifaschisten“ protestierten, sondern auch als gegen alle „Rechts- und Linksnationale“ eingestellte Leute. Kurzum: „Antinationale“ wollen anderen Antifaschist/innen gegenüber sich zu Ajatollas und Zensoren aufspielen, um zu bestimmen. wer eingeladen werden darf und wer nicht.
Obwohl wir die Auseinandersetzung nicht gesucht haben, werden wir sie aber annehmen und wie stets, offen und transparent damit umgehen. Es geht sowohl um das Haus der Demokratie und Menschenrechte, welches ein nahezu einmaliges Bündnisprojekt von linksliberal bis linksradikal darstellt und die Möglichkeit für antikapitalistische Linke bietet, mit der gesamten Breite von Demokratie- und Menschenrechtsthemen „in die Mitte der Gesellschaft“ hinein zu wirken. Es geht aber auch um die Linke und um den Antifaschismus insgesamt, darum, ob „Antinationale“ sich zu Ajatollas des Antifaschismus aufspielen dürfen, aber auch darum, ob antinationale Phobien und Tabus antifaschistische und internationalistische Analyse und Politik kontrollieren und ersetzen sollen. Immerhin verstand sich das Gros des antifaschistischen Widerstands in Deutschland, und der kam vor allem aus der Arbeiterbewegung, als das Andere oder das Bessere Deutschland. Und das ist auch der Bezug, in den Peter Brandt gehört, auch dann, wenn er für Grenzüberschreitungen des Internationalismus und unzulässige Zugeständnisse an die Neue Rechte in Gestalt seiner Kommunikation mit ihnen unbedingt kritisiert werden muss.
Ich denke, gerade angesichts des Vormarsches des Rechtspopulismus in Europa oder beispielsweise auch des Konfliktes in der Ukraine brauchen wir keine Tabus in punkto „Nationales“, sondern kritische und internationalistische Analyse und Debatte.
Als P.S. hänge ich noch unsere „Erklärung der Veranstalter/innen“, die Ankündigung von Brandts Auftritt bei der VVN-BdA im letzten Sommer sowie einen Auszug von Peter Brandt an, der seine Grundeinstellung zur Nation charakterisiert und der deutlich macht, dass er – bei aller notwendigen Kritik – natürlich keinesfalls in den Umkreis der Nationalrevolutionäre gehört. Für konservative Revolutionäre und Nationalrevolutionäre ist ja die Nation der Kern und Ausgangspunkt aller anderen Bezugssysteme, für ihn ist es die Emanzipation der subalternen Klassen.
Mit solidarischen Grüßen
Bernd
23.05.2015
1.
Erklärung zur Veranstaltung am 15. Mai 2015
(siehe oben!)
2.
Der vergessene Arbeiterwiderstand. Vor 70 Jahren trafen sich Vertreter von KPD und SPD am Vorabend des 20. Juli 1944
- Juni 2014
Montag, 23. Juni 2014, 19 Uhr, Haus der Demokratie und Menschenrechte (Robert-Havemann-Saal),
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Nach einer historischen Einführung durch die Historikerinnen Dr. Bärbel Schindler-Saefkow und Dr. Annette Neumann diskutieren:
- Dr. Peter Brandt, Fernuniversität Hagen, Historische Kommission der SPD
- Stefan Heinz, Forschungsstelle Nationale und Internationale
- Gewerkschaftspolitik der Freien Universität Berlin
- Klaus Lederer, Landesvorsitzender DIE LINKE Berlin
- Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin
- Daniel Wucherpfennig, DGB Berlin-Brandenburg
Moderation: Dr. Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN-BdA e. V.
Das Treffen in der Köpenickerstraße
Am 22. Juni 1944 trafen sich die Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob mit den Sozialdemokraten Julius Leber und Adolf Reichwein bei dem Arzt Rudolf Schmid in der Köpenicker Straße in Berlin. Zum ersten Mal loteten Vertreter der Arbeiterparteien Gemeinsamkeiten aus und überwanden Bedenken.Für den Sturz Hitlers sollten möglichst viele Gegner des Naziregimes mit unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Anschauungen einbezogen werden. Diese Ansicht teilte auch Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der das misslungene Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 verübte und an entscheidender Position an der daran anschließenden „Operation Walküre“ beteiligt war, dem Versuch eines Staatsstreiches. Stauffenberg wusste um Lebers Kontakte zu den Kommunisten.
Am 22. Juni 1944 wurde erörtert: Freie Demokratie? Ja. Privateigentum? Ja. Konzerne und Großkapital ausgenommen. Dies hielt Rudolf Schmid fest, der die Begegnung als angenehm in Erinnerung behielt: Man wollte sich verstehen, man hatte eine gemeinsame Aufgabe, von der verschiedene Auffassungen nicht ablenken durften.
Die wohl schon länger geplante und nur wenige Wochen vor dem 20. Juli anberaumte Begegnung deutet auf einen Paradigmenwechsel in den schwierigen Beziehungen der beiden Arbeiterparteien hin. Jacob, Leber, Reichwein und Saefkow waren trotz mancher Bedenken aus den eigenen Reihen über die Schatten der Vergangenheit gesprungen. Obgleich gegensätzliche Positionen bestehen blieben, traten diese in den Hintergrund. Die Gesprächspartner verabredeten in 14 Tagen ein nächstes Treffen. Dazu kam es nicht. Stattdessen kam es aufgrund von Verrat zu zahlreichen Festnahmen.
Zur Diskussion:
- Worin besteht die historische Bedeutung des Treffens im Vorfeld des 20. Juli 1944?
- Woran liegt es, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der umfangreiche Arbeiterwiderstand – im Gegensatz zum bürgerlichen und militärischen Widerstand – kaum thematisiert wird?
- Braucht es einen Gedenktag für den politischen Widerstand und ein Denkmal für den Arbeiterwiderstand?
- Wie kann Geschichte von Widerstand und Verfolgung mit Fragen im Hier und Heute verbunden werden, z. B. im Hinblick auf rassistische Vorurteile und Verhaltensweisen und Neonazismus?
- Losgelöst von historischen Kontexten wird bei der Neubewertung der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts eine Kontinuität politischer Verfolgung im Faschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert beschworen. Wie kann Versuchen begegnet werden, verschiedene Erinnerungskulturen in Europa aus ihrem historischen Kontext zu lösen und sie „antitotalitär“ zu vereinen?
Veranstalterinnen: Berliner VVN-BdA e.V., Initiative zur Erinnerung an den Arbeiterwiderstand, Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte
Infos: http://www.hausderdemokratie.de/artikel/programm.php4
3.
Karlen Vesper: Interview mit Peter Brandt (2003 in ND) (Auszug – B.G.)
- Haben die Deutschen ein gespaltenes Nationalgefühl? Sie haben sich immer wieder mit dem Phänomen Nation – vor allem Nation und Linke – befasst. Können je und dürfen überhaupt die Deutschen angesichts ihrer Geschichte zu einer ganz normalen selbstbewussten Nation werden? Und warum kommt es immer wieder zu solchen »Peinlichkeiten« wie erst wieder dieser Tage (Rede des CDU-Abgeordneten H.)?Ich möchte zunächst einmal Wert darauf legen, und das ist keine Spitzfindigkeit, zwischen Nationalgefühl und Nationalbewusstsein zu unterscheiden, auch wenn ich einräume, dass die Grenze in der Realität fließend ist. Mein Anliegen ist es nicht, die Deutschen zu einer »normalen, selbstbewussten Nation« zu erziehen, sondern das kritische Bewusstsein der Bedeutung des Nationalen (auch im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierung) zu fordern. Dazu gehören die Schrecken der Nazi-Vergangenheit, aber man kann und darf die deutsche Identität nicht darauf reduzieren, sondern sollte auch positive Identifikationsangebote machen, die ja nicht an den Haaren herbeigezogen zu werden brauchen. Muss man das früheren Bürgern der DDR erklären, die sich damit bei aller vordergründigen Legitimierungsabsicht immerhin einige Mühe gab und deren Historiker und Gesellschaftswissenschaftler mit der Unterscheidung Erbe / Tradition etwas dafür sehr Nützliches getan haben? – Zum Abgeordneten Hohmann könnte man sehr viel sagen. Die Rede ist abstrus und in der Tat peinlich. Wie dann öffentlich über den Vorgang berichtet und diskutiert (besser gesagt: nicht diskutiert) wurde, ist bezeichnend für den ziemlich neurotischen Umgang unseres Landes und speziell der heute bestimmenden (westdeutsch sozialisierten) Führungsschicht in Politik und Medien mit dem gesamten Komplex Nation / jüngste Vergangenheit / Erinnerungskultur. Ich würde es begrüßen, wenn wenigstens die unsägliche Rede vom »deutschen Tätervolk« nicht mehr gedankenlos weitergetragen würde.Quelle: http://www.globkult.de/selbstauskunft/450-karlen-vesper-interview-mit-peter-brandt-2003
gekürzt in: Neues Deutschland vom 27.12.2003
Juristen gegen das Tarifeinheitsgesetz – Aufruf
Die unterzeichnenden Juristen beobachten mit großer Sorge das Vorhaben eines Tarifeinheitsgesetzes. Die mit diesem Gesetz angeblich angestrebte Tarifeinheit in den Betrieben und die Verdrängung sog. Minderheitsgewerkschaften verstoßen nach unserer Überzeugung in mehrfacher Hinsicht gegen das Grundrecht der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes:
Streikrecht
Das Streikrecht ist als Teil der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG garantiert. Zwar enthält der Gesetzesentwurf der Bundesregierung kein ausdrückliches Streikverbot. Aber in der Begründung heißt es ausdrücklich, dass der Arbeitskampf für einen kollidierenden Tarifvertrag nicht „verhältnismäßig“ also rechtwidrig sei. Zudem gelten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur Streiks dann als rechtmäßig, wenn sie ein „tariflich regelbares Ziel“ haben. Mit der Ausgrenzung des Tarifvertrages der Minderheitsgewerkschaft wäre dieses nicht mehr gegeben. Der Entwurf enthält also mindestens indirekt ein Streikverbot.
Gewerkschaftsfreiheit
Die freie Gründung von Gewerkschaften ist Teil der Koalitionsfreiheit. Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Koalitionsbildung für „Jedermann und für alle Berufe“. Damit ist die Bildung und Betätigung reiner Berufsgewerkschaften ebenso geschützt wie diejenige von Industrie – und Branchengewerkschaften. Das Gesetzesvorhaben richtet sich erkennbar gegen Berufsgewerkschaften, von denen gemutmaßt wird, sie seien regelmäßig in der „Minderheit“. Die damit verbundene Einschränkung der Gewerkschaftsfreiheit ist jedoch unzulässig. Zudem führt das bloße „Nachzeichnungsrecht“ der Minderheitsgewerkschaft in Bezug auf Tarifverträge der Mehrheitsgewerkschaft zu einem „Zwei-Klassen-System“ innerhalb der Gewerkschaften und damit zu Gewerkschaften minderen Rechts. Damit wird massiv in den Kernbereich des Grundrechts auf Gründung und freie Betätigung von Gewerkschaften eingegriffen.
Tarifautonomie
Bestandteil der Koalitionsfreiheit ist die grundsätzliche tarifliche Gestaltungsfreiheit der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Doch tatsächlich greift der Gesetzesentwurf auf zweierlei Weise in den Kernbereich der Tarifautonomie ein. Zum einen verhindert oder erschwert er den Abschluss und den Erhalt von Flächentarifverträgen, denn durch die Beschränkung auf den „Betrieb“ wird eine einheitliche Tarifgestaltung gezielt erschwert. Zum anderen reduziert er das Koalitionsrecht der Minderheitsgewerkschaften auf ein Recht zur „Nachzeichnung“ von Tarifverträgen der Mehrheitsgewerkschaft und unterwirft diese damit dem Diktat der konkurrierenden Organisation.
Stärkung der Arbeitgeberseite
Das Verfahren zur Feststellung der Mehrheitsgewerkschaft birgt die unmittelbare Gefahr der Offenlegung der Mitgliederzahlen aller betroffener Gewerkschaften. Dadurch wird nicht nur das Individualrecht der Mitglieder auf Schutz ihrer persönlichen Daten verletzt, vielmehr werden durch die Offenlegung der Mitgliederzahlen Gegenmaßnahmen der Unternehmen etwa im Falle von Streikaktionen erleichtert. Damit wird auf unverhältnismäßige Weise in die Machtbalance der Tarifparteien eingegriffen, ohne dass dieses für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie erforderlich wäre. Hinzu kommt dass die Definitionsgewalt, was ein „Betrieb“ sei, dem Arbeitgeber zukommt.
Aushöhlung des Gewerkschaftsbegriffs
Zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie verlangt das Bundesarbeitsgericht seit Langem für die Gewerkschaften eine empirisch nachweisbare „Mächtigkeit“. Genau dies aber wird durch das sog. Nachzeichnungsrecht konterkariert. Nun sollen auch Koalitionen tariffähig sein, die eigene Tarifverträge nicht erstreiken können, aber in der Vergangenheit Gefälligkeitstarifverträge unterschrieben haben. Damit stärkt das Vorhaben nicht die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie, sondern schwächt diese in zentraler Weise. Der Gesetzentwurf gibt vor, Arbeitskonflikte zu verhindern. Tatsächlich jedoch wird ein solches Gesetz zur Verschärfung von Arbeitskonflikten allein schon deshalb führen müssen, weil die jeweils konkurrierenden Gewerkschaften versuchen werden, sich noch schärfer voneinander abzugrenzen und eigene tarifliche Ziele zu verfolgen. Er wird die Gewerkschaftskonkurrenz untereinander ebenso fördern, wie die Spaltung der Belegschaft.
Wir stellen abschließend fest: Es ist unverkennbar, dass der Gesetzgeber sich der verfassungsrechtlichen Risiken dieses Entwurfes bewusst ist und nicht nur bereit ist, den entstehenden Schaden, sondern auch eine Kassierung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht in Kauf zu nehmen. Damit verletzt die Bundesregierung ihre im Grundgesetz verankerte Bindung an Recht und Gesetz.
Wir rufen die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien auf, unverzüglich diesen Gesetzesentwurf zurückzuziehen (bzw. das Gesetz ersatzlos wieder aufzuheben) und das Vorhaben einer gesetzlichen Regelung zur Durchsetzung der Tarifeinheit nicht weiter zu verfolgen!
Dr. Rolf Geffken Fachanwalt für Arbeitsrecht Hamburg
Michael Aggelidis Rechtsanwalt Bonn
Ralf-Carsten Bonkowski Fachanwalt für Arbeitsrecht Bremen
Philip Stühler-Walter Rechtsanwalt Bonn
Benedikt Hopmann Rechtsanwalt Berlin
Angela Erdmann Rechtsanwältin Hamburg
Uwe Melzer Fachanwalt für Arbeitsrecht Stuttgart
Galya Lubenova Rechtsanwältin Hamburg
Gisela Dapprich Rechtsanwältin Düsseldorf
Regine Windirsch Fachanwältin für Arbeitsrecht und Sozialrecht Düsseldorf
Sigrid Britschgi Fachanwältin für Arbeitsrecht und Familienrecht Düsseldorf
Stefani Dach Rechtsanwältin Düsseldorf
Hans E. Schmitt-Lermann Rechtsanwalt München
Rosemarie Heims Rechtsanwältin Verden
Veronica Bundschuh Fachanwältin für Arbeitsrecht Münster
Johann Strauß Fachanwalt für Arbeitsrecht Münster
Stefan Bell Rechtsanwalt Düsseldorf
Dietrich Manstetten Fachanwalt für Arbeitsrecht Münster
Dr. Frank Schulze Rechtsanwalt Münster
Dirk Schumacher Rechtsanwalt Münster
Wilhelm Achelpöhler Rechtsanwalt Münster
Bernd Meisterernst Rechtsanwalt Münster
Rita Coenen Rechtsanwältin Münster
Mechthild Düsing Rechtsanwältin Münster
Thomas Berger Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
Thomas Ebinger Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
Uwe Nawrot Fachanwalt für Arbeitsrecht Berlin
David Sebastian Schumann Rechtsanwalt Berlin
Priyanthan Thilagaratnam Rechtsassesor Berlin
Dieter Krause Ver.di – Rechtssekretär i.R. Neustadt i.H.
Karin Burth Fachanwältin für Arbeitsrecht Berlin
Stefanie Kirschner Rechtsanwältin Berlin
Nico Calo Rechtsreferent GöD Saar Saarbrücken
Jochen Bauer Rechtsassessor Sindelfingen
Quelle: Rat und Tat
NoPEGIDA und Co.
Am Ende des Jahres 2014 und zu Beginn des Jahres 2015 haben verschiedene Mitglieder unseres Arbeitskreises zwei Erklärungen gegen die PEGIDA-Demonstrationen in Dresden unterstützt. Wir dokumentieren sie als uns nahe stehend, ohne dass sie von uns als AK formell beschlossen wurden. Das sind der „Weihnachtsgruß von Neunundachtziger/innen ‚PEGIDA – Niewieda!“ sowie die Erklärung des Haus der Demokratie und Menschenrechte gegen PEGIDA:
Weihnachtsgruß von Neunundachtziger/innen
25 Jahre nach dem Mauerfall
PEGIDA – Nie wieda!
Wir sind das Volk ruft ihr
Freiheit Toleranz Welt offen meinte das ’89
Visa frei bis Hawai war die Devise
Und: Die Mauer muss weg
Ihr aber wollt:
Visa frei nur für uns
Die Mauer muss weg nur für uns
Die Mauer muss her am Mittelmeer
25 Jahre nach Mauerfall
Zusehen wollt ihr
Wenn die Elenden der Welt
An neuen Mauern sterben
An euren Mauern
Oder ihr dreht euch weg
Um in Ruhe Gänsebraten zu essen
Und Weihnachtslieder zu singen
Jesus hätte gekotzt hätte er euch getroffen
Habt ihr euch nie gefragt:
Wer liefert die Waffen für die Bürgerkriege
Die die Menschen vertreiben
Wer hat der Welt den Neoliberalismus aufgezwungen
Der sie in Ungleichheit Armut Not treibt
Bei uns und im Süden der Erde
Und wer hat die Klimakatastrophen produziert
Die den Sahel zur Hölle machen
Dabei pfeifen die Spatzen von den Dächern:
Es ist das System das ihr nicht schnell genug bekommen konntet
Dem ihr den ’89er Versuch geopfert habt
Den Versuch einer alternativen Demokratie
Einer freiheitlichen solidarischen ökologischen
Doch ihr sprecht nicht über dieses System
Über Kapitalismus seine Gemeinheiten über Interessen
Dafür protestiert ihr gegen die Schwachen
An die Mächtigen traut ihr euch nicht heran
Feiglinge
In Sachsen sind Muslime nur mit der Lupe zu finden
Aber ihr bekämpft die Islamisierung des Abendlands
Euer Abendland heißt Dunkeldeutschland
Ihr riecht nach dem Provinzmief hinter der Mauer
Oder dem in den Tälern der Alpen
Ihr sprecht nicht für ’89
Ihr sprecht für keine Freiheitsbewegung
Ihr seid deren Schande
Schämt euch
Auf euer Abendland haben wir ’89 gepfiffen
Darauf pfeifen wir auch heute
Unsere Solidarität den Flüchtlingen
Und immer noch sagen wir
Eine andere Welt ist möglich
Eine andere Welt ist nötig
Um alle Mauern zu stürzen
Weihnachten 2014
(Unterschriften)
Kerstin Ahrens (1989 Kirche von Unten)
Silke Ahrens (1989 Kirche von Unten, Offene Arbeit)
Susan Arndt (1989 NEUES FORUM/StuRa HU Berlin)
Rainer Bluhm (1989 NEUES FORUM/Vereinigte Linke)
Judith Braband (VL/Zentraler Runder Tisch/Kuratorium Haus der Demokratie und Menschenrechte Berlin)
Uwe Dähn (1989 Friedenskreis Pankow/NEUES FORUM)
Malte Daniliuk (1989/1990 Bürgerkomitee 15. Januar zur Auflösung des MfS)
Bettina Dziggel (1983-89 Lesben in der Kirche, AK Homosexuelle Selbsthilfe Berlin, Gethsemanekirche)
Konrad Elmer-Herzig (1989 Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei in der DDR)
Hans-Jürgen Fischbeck (1989 Mitbegründer von „Demokratie Jetzt“, Zentraler Runder Tisch)
Bernd Florath (1989 Unabhängiger Historikerverband/NEUES FORUM)
Bernd Gehrke (1989 Vereinigte Linke, Zentraler Runder Tisch)
Elisabeth Gibbels (Schriftstellerin)
Andreas Heise (1989 NEUES FORUM)
Werner Jahn (1989 Initiative für eine Vereinigte Linke/Gruppe „Gründet Räte in den Betrieben“)
Peter Jeschke (1989 NEUES FORUM, Runder Tisch Halle, ehemals Stadtrat)
Wolfram Kempe (Schriftsteller)
Samirah Kenawi (1989 Unabhängiger Frauenverband)
Thomas Klein (1989 Vereinigte Linke, Zentraler Runder Tisch)
Lothar König (Pfarrer, JG Stadtmitte Jena)
Marinka Körzendörfer (1983-89 Lesben in der Kirche, AK Homosexuelle Selbsthilfe Berlin, Gethsemanekirche)
Bernd Löffler (1989 Offene Arbeit/Vereinigte Linke/Interrimsparlament Erfurt)
Renate Lützkendorf (1989 Offene Arbeit Erfurt)
Bernd Markowsky (1976 Haft wg. Staatsfeindlicher Gruppenbildung/AKL und OA Jena)
Isa-Lorena Messer (1989 NEUES FORUM )
Antje Meurers (1989 NEUES FORUM Dresden, Lehrerin)
Dietmar Mielke (1989 Friedenskreis Friedrichsfelde)
Jenny Müller (1989 Vereinigte Linke)
Silvia Müller (1989 Vereinigte Linke, Zentraler Runder Tisch)
Wolfgang Musigmann (Offene Arbeit Erfurt, 1989 Mitglied des Bürgerkomitees Erfurt)
NEUES FORUM
Peter Neumann (1989 NEUES FORUM/Arbeitsgruppe Sicherheit)
Angelika Nguyen (1989 Vereinigte Linke)
Axel Peters (NEUES FORUM/Besetzung Stasi-Waffenlager Kavelstorf/Besetzer der Stasizentrale in Rostock)
Henning Pietzsch (1989 Offene kirchliche Jugendarbeit Jena/JG-Stadtmitte)
Grit Poppe (1989 Demokratie Jetzt, Runder Tisch Bezirk Potsdam, Landesgeschäftsführerin für DJ Brandenburg)
Judith Porath (1989 Junge Gemeinde Oranienburg/Theatergruppe Theo)
Tabea Porath (1989 Junge Gemeinde Oranienburg/Theatergruppe Theo)
Werner Richter (1989 NEUES FORUM/Runder Tisch Berlin)
Elske Rosenfeld (89er Demonstrantin, Künstlerin)
Rüdiger Rosenthal (1990 Grüne Partei der DDR)
Torsten Schleip (1989 Vereinigte Linke, Runder Tisch Leipzig)
Andreas Schmidt (1989 NEUES FORUM)
Andreas Schreier (Redaktion telegraph)
Reinhard Schult (1989 NEUES FORUM, Zentraler Runder Tisch)
Anne Seeck (Dresdner Subkultur, 1989 ausgereist)
Wolfgang Stadthaus (1989 Friedenskreis Berlin)
Dirk Teschner (1989 Kirche von Unten/Redaktion Friedrichsfelder Feuermelder)
William Totok (ehem. Aktionsgruppe Banat, Publizist, Berlin)
Veronika Wagner (1989 Opposition, VBK-Berlin Montagsversammlungen,-demonstrationen)
Rainer Wahls (1989 Soldatenrat 8. Motschützenregiment Drögerheide/danach StuRa HU Berlin)
Dirk Wassersleben (Redaktion telegraph)
Matthias Weiß (1989 Offene Arbeit Erfurt)
Albrecht Wetzel (1989/90 Netzwerk Arche/Bürgerkomitee 15.Januar zur Auflösung des MfS)
Dietmar Wolf (1989 Umweltbibliothek Berlin, Antifa Ostberlin)
Jolly Zickler (1989 Kirche von Unten)
Siegfried Zoels (1989 NEUES FORUM, Runder Tisch Berlin-Prenzlauer Berg)
Erklärung der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte Berlin zu Pegida & Co.
Wir sind das Volk – demokratisch und weltoffen! Wir sind gegen Pegida & Co!
Seit mehreren Wochen demonstrieren „Patriotische Europäer gegen eine Islamisierung des Abendlandes (Pegida)“ in Dresden. Sie reihen sich ein in die beschämenden Demonstrationen gegen Flüchtlinge, Verfolgte, Menschen anderer Herkunft und Religion, insgesamt gegen Menschen, die als „anders“ wahrgenommen werden.
Pegida sieht sich selbst in der Tradition der Montagsdemonstrationen, die vor 25 Jahren eine friedliche Revolution initiiert haben. Das Haus der Demokratie und Menschenrechte ist aus der friedlichen Revolution entstanden und wir sind empört und beschämt, dass heute im Namen dieser demokratischen Revolution für Ausgrenzung, für Rassismus und für Intoleranz demonstriert wird.
Wir sind das Volk und stehen für Toleranz und Selbstbestimmung, für Partizipation, Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Die friedliche Revolution von 1989/1990 steht für die Überwindung der Grenzen innerhalb Deutschlands und Europas, für Demokratie und universelle Menschenrechte.
Demonstrationen gegen Flüchtlinge und gegen Menschen anderer Religion und Herkunft mögen viele Gründe haben: Unsicherheit, Furcht oder Frustration. Unsicherheit aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse und geringer Einkommen, Furcht vor den Kriegen und Krisen in unserer Nachbarschaft oder Frustration mit einer als bürgerfern wahrgenommenen Politik.
Welche Gründe es auch immer sein mögen: Gegen schutz- und hilfsbedürftige Menschen zu demonstrieren ist schamlos und abstoßend! Wir verurteilen alle, die ihre Furcht und ihre Frustration gegen jene wenden, denen es noch schlechter geht. Wir haben nichts mit solchen Demonstranten und Demonstrantinnen gemein, die sich im Namen einer Nation gegen andere Nationen, Völker, Religionen wenden. Wir sind gegen Pegida und Co!
Stattdessen sollten wir alle gemeinsam nach Lösungen suchen, die Angst und Unsicherheit bekämpfen: Mehr Demokratie, mehr Toleranz, der Respekt vor Menschenrechten und der Würde des Menschen in Deutschland und überall auf der Welt, der Kampf gegen Armut und prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse und eine solidarische Gemeinschaft, die ohne Aus- und Abgrenzung auskommt, sind unsere Antworten, nicht Nationalismus und Rassismus!
Europa ist umgeben von Kriegs- und Krisenregionen und tagtäglich sterben Menschen an den Grenzen, die Europa errichtet hat, um sich abzuschotten. Die wenigen Flüchtlinge und Verfolgten, die es schaffen, Europa zu erreichen, finden neue Grenzen vor.
Statt Hilfe und Unterstützung zu erhalten, warten unzählige bürokratische Hürden und Auflagen, Diskriminierung, Arbeitsverbote und prekäre Lebensverhältnisse. Menschen, die Krieg, Vertreibung und andere Schrecken erlebt haben, stoßen vielfach auf Ablehnung, Ignoranz und Diskriminierung seitens der europäischen Staaten und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Die Pegida-Demonstrationen sind der letzte Schritt hin zu einer Gesellschaft, die intoleranter und unsolidarischer wird. Gefordert sind deshalb gegenseitige Solidarität und Mitgefühl, eine Gesellschaft, die sich gegenseitig hilft und unterstützt und diejenigen, die in Not sind, willkommen heißt.
Wir sind das Volk – demokratisch und weltoffen! Flüchtlinge und Verfolgte haben einen Platz unter uns, Pegida & Co nicht!
Berlin, den 5. Januar 2015
Vorsitz des Kuratoriums und Vorstand der Stiftung Haus der Demokratie und Menschenrechte
V.i.S.d.P. Hans-Andreas Schönfeldt (Vorstand)
Nachruf auf Lutz Schulenburg
Liebe Freund/innen und Genoss/innen,
der große libertäre Herausgeber, Freund der Literatur und des freiheitlichen Sozialismus, Lutz Schulenburg, ist tot. Der Begründer des Nautilus-Verlages verstarb mit 60 Jahren viel zu jung am 1. Mai 2013.
Uns bleibt in Erinnerung, wie er erst unlängst im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte für „den kommenden Aufstand“ mit großer Verve plädierte. Den entsprechenden Text der französischen Gruppe Tiqqun hatte natürlich er in deutscher Sprache verlegt. Viele wichtige Veröffentlichungen, so die der Werke Franz Jungs, sind seinem verlegerischen Engagement zu verdanken.
Lutz gehörte zu den engagierten Unterstützer/innen der Initiative für eine Vereinigte Linke in der DDR. 1990 veröffentlichte er in der von ihm herausgegebenen neuen „Aktion“ ihre wichtigsten Dokumente. Doch auch mit praktischer Unterstützung, mit Rat und Tat stand er den basisdemokratischen Linken in der Zeit des großen Umbruchs in der DDR zur Seite – wie zuvor und hernach anderen basisdemokratischen Bewegungen. Ohne das Engagement der „Aktion“ würden wir über den Aufstand der Indios von Chiapas wohl sehr viel weniger wissen.
Wir verlieren mit ihm einen freiheitlichen und feinsinnigen Menschen. Doch sein Werk wird bleiben.
Judith Braband, Bernd Gehrke, Renate Hürtgen, Thomas Klein, Jenny Müller, Silvia Müller, Erhard Weinholz
5. Mai 2013
Erklärung des AK Geschichte anlässlich des Aufmachers der Tageszeitung „junge welt“ am 13.August 2011
Die Linke hat einen reaktionären Rand …
… und dieser reaktionäre Rand sammelt sich um die Tageszeitung „junge welt“. Vornehmlich hier erhalten die ehemaligen Unterdrücker in der DDR das Wort. Die „junge Welt“ ist die propagandistische Tribüne der Politbürokratie, der Generäle und Offiziere der DDR- Staatssicherheit, der NVA, der Grenztruppen, der sogenannten Volkspolizei, der stalinistischen Ideologen und ihrer unbelehrbaren Nachfolger. Hier werden der gegen die Bevölkerungsmehrheit gerichtete SED- Unterdrückungsapparat gefeiert, seine Schüsse auf DDRFlüchtlinge, seine Gefängnisse für die politischen Gefangenen und der verbrecherische Charakter der Diktatur über das Proletariat geleugnet oder relativiert. Kein Wunder: An der Spitze der „jungen welt“ steht schließlich ein Chefredakteur, dessen vornehmste Aufgabe in der DDR es war, als Stasi- Spitzel linksoppositionelle Marxist/innen zu jagen.
Für alle emanzipatorischen Linken muss das Maß nun voll sein. Am 13. August 2011 dankte die „junge welt“ auf dem Titelblatt breit aufgemacht den Mauerbauern für 28 Jahre Einsperren der DDR-Bevölkerung und feierte offen die stalinistische Unterdrückung, garniert mit den üblichen Propagandalügen der SED-Diktatur und Mythen über ihre „Errungenschaften“. In Nichts stehen diese Propagandalügen den Propagandalügen der heute Herrschenden nach. Diese reaktionäre Linke besitzt eine Rattenfängerpfeife, hinter der junge Menschen herlaufen sollen, die die DDR nicht mehr kennen und die den gegenwärtigen Verhältnissen eine radikale Kritik entgegensetzen wollen: Das ist ihr scharfer, allerdings antiwestlich und autoritär gedrechselter Antikapitalismus. Deshalb unterstützt die „junge welt“ noch den letzten Despoten, so er in Konfrontation mit dem westlichen Kapitalismus gerät: Putin, Saddam Hussein, Milosevic, Ahmadinedschad, Gaddafi. Einen solchen antiemanzipatorischen Antikapitalismus hat „die junge welt“ schon zu Zeiten des Kalten Krieges praktiziert, als sich die zwei imperialen Mächte – der Ost und der Westblock – gegenüberstanden und zu vernichten drohten. Die Propagandamaschinen liefen auf Hochtouren, Antikommunismus auf der einen, Antikapitalismus auf der anderen Seite waren die staatstragenden Ideologien, mit denen die Verbrechen und Schwächen des jeweils eigenen Systems geschönt, bemäntelt oder rechtfertigt, die Stärken des jeweils anderen Systems jedoch weggeredet wurden.
Die Kritik der jeweils Herrschenden an dem jeweils anderen System war und ist nicht unsere Kritik. Unsere Kritik hat sich einst wie jetzt gegen beide Systeme gleichermaßen gerichtet, ohne Unterschied in der Radikalität und in der Zielstellung: Überwindung beider Ausbeutungssysteme durch eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, durch eine freie und selbstverwaltete Assoziation der Produzent/innen. Der Antikommunismus des Westens wie der Antikapitalismus des Ostens dienten nur der Denunziation des Gegners und der Stabilisierung der eigenen Herrschaft. Wir können uns weder hinter die einen, noch hinter die anderen „Anklagen“ stellen, unabhängig davon, dass an beiden „was dran ist“. Darum kann es auch heute nicht unser Kampf sein, den die besiegten ehemaligen Herrschenden der DDR in der „jungen welt“ gegen die Sieger führen.
Das Drama der Geschichte der Linken in der DDR ist ihre „Staatswerdung“ im Gewand des Stalinismus. Die Utopie, für die gekämpft und gelitten worden war, kam in Gestalt einer Ausbeutungsgesellschaft mit einem Unterdrückungsapparat ans Licht, der in seiner Perfektion seinesgleichen sucht. Heute, nach dem Untergang des Ostblocks und im Angesicht der offensichtlichen Krisen des Gegenwartskapitalismus kann und muss die Linke ihre ganze Kraft darauf richten, darüber nachzudenken, wie eine alternative Gesellschaft zur kapitalistischen Verwertungslogik aussehen und wie sie erreicht werden kann. Das ist jedoch nur möglich wenn die historischen Sackgassen stalinistischer Parteidiktaturen und der von ihnen geschaffenen Ausbeutungssysteme kritisch aufgearbeitet werden, die der Linken bis heute als historische Erblast auf die Füße fallen.
Wer sich jedoch in den Dunstkreis der „jungen welt“ begibt, wo sich die Restaurateure der SED-Diktatur verschanzt haben, die Agitatoren und Propagandisten der 1989 abgeschüttelten DDR-Unterdrücker, die stalinistischen Menschenverachter, die ihrer verlustig gegangenen Macht nachtrauern, hat keinen Blick frei für eine solche Zukunftsvision.
Die Linke hat einen reaktionären Rand, der sich auszudehnen scheint und in der linken Szene auf Bauernfang geht. Er klebt an ihr wie Scheiße am Schuh, er gehört dazu, ob sie will oder nicht. Jeder sieht es. So hat die Linke dasselbe Problem wie das Bürgertum, an dessen rechtem Rand sich die alten und neuen Nazis tummeln. Was empfehlen wir den Demokraten im bürgerlichen Lager? Distanziert Euch, tretet rigoros gegen den Faschismus auf, protestiert? In jedem Fall sind wir zu Recht empört, wenn sie diese Kräfte verharmlosen, nicht wahrhaben wollen oder ihnen gar eine Daseinsberechtigung zusprechen. Doch was machen wir mit den Reaktionären im eigenen Lager? Eine Linke die auf diesem Auge blind ist, wird niemals glaubwürdig und wahrhaftig sein, wenn sie dem Bürgertum vorwirft, sich vor ihrem rechten Rand zu beugen. Vor allem wird sie niemals in der Lage sein eine emanzipatorische Gesellschaft jenseits des Kapitalismus zu schaffen, wenn sie es selbst nicht einmal schafft sich von ihren eigenen historischen Irrwegen und stalinistischen Verbrechen zu emanzipieren.
Wir schlagen allen Anhängerinnen und Anhängern einer emanzipatorischen Linken vor, die „jungen welt“ zu boykottieren und eigene Wege der Kommunikation über eine radikale, weil emanzipatorische Politik der Linken zu schaffen.
AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost/West
Renate Hürtgen
Bernd Gehrke
Willi Hajek
Berlin, den 16. August 2011
Die folgende Veranstaltungsreihe im jahr 2011 hat der AK Geschicte soz. Bew. Ost-West aktiv unterstützt
VERANSTALTUNGSREIHE:
WAS TUN MIT KOMMUNISMUS?!
Kapitalismus – „real existierender Sozialismus“ – konkrete Utopien heute
Montag, 31. Oktober, Mehringhof (Gneisenaustr. 2a, Nähe U 6+7/Mehringdamm), 18 bis 22 Uhr: „Die Linke und ‚der real existierende Sozialismus'“
Podiumsteilnehmer/innen: Bini Adamczak (Autorin), Hauke Benner (autonomer Grenzgänger in den 80er Jahren), Willi Hajek (Europ. Netzwerk Basisgewerkschaften), Thomas Klein (Zeithistoriker), Elfriede Müller (jour fixe initiative berlin), Monika Runge (RLS Sachsen, MdL Sachsen), Jörn Schüttrumpf (Karl Dietz Verlag)
Moderation: Anne Seeck, Bernd Gehrke
Dienstag, 1. November, Haus der Demokratie und Menschenrechte (Greifswalder Str. 4, Tram 3+4, zwei Stationen vom Alex), 18 bis 22 Uhr:
„Wie sozialistisch war der ‚real existierende Sozialismus‘?“
Podiumsteilnehmer/innen: Helmut Bock (Historiker, Historische Kommission der Partei Die Linke), Renate Hürtgen (Historikerin, AK Geschichte sozialer Bew. Ost-West), Christoph Jünke (Historiker und Publizist), Ralf G. Landmesser (libertärer Publizist, LPA), Anne Seeck (Aktivistin) Harry Waibel (Historiker und Publizist)
Moderation: Bernd Gehrke, Willi Hajek
Sonntag, 6. November, Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130, U 1+8/Kottbusser Tor, 17 bis 21 Uhr:
„Raus aus dem Kapitalismus – aber wohin? Konkrete Utopien heute“.
Podiumsteilnehmer/innen: Christian Frings (Aktivist und Autor), Bernd Gehrke (AK Geschichte sozialer Bew. Ost-West), Detlef Hartmann (linker Aktivist und Theoretiker), Lucy Redler (Partei Die Linke, SAV), Michael Wilk (libertärer Autor und Aktivist), N.N. (Theorie Organisation Praxis, TOP B3RLIN)
Moderation: Ralf G. Landmesser, Harry Waibel
Veranstalter: Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (SEK)
Die Veranstaltungen werden unterstützt von:
A-Laden, Assoziation A, Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West, Bildungswerk Berlin der Heinrich Böll Stiftung, Buchladen Schwarze Risse, express. Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, North-East-Antifa, Netzwerk Selbsthilfe e.V., Rosa-Luxemburg-Stiftung, Sozialistische Zeitung SoZ, Teilhabe e.V., Zeitschrift Analyse & Kritik, Zeitschrift Antirassistischer Gruppen, Zeitschrift telegraph
Einladungstext
Die kapitalistische Weltwirtschaft und die bürgerlichen Demokratien sind von fundamentalen Krisen erfasst. Begleitet werden sie von einem Aufschwung des Rechtspopulismus in Europa. Gleichzeitig wächst aber auch die Bereitschaft, über Alternativen und Wege zur Überwindung des Kapitalismus nachzudenken.
Für Empörung, Aufstände und soziale Revolutionen gibt es reichliche Gründe, wie die jüngsten Entwicklungen in der arabischen Welt, in Griechenland, Spanien oder in Großbritannien zeigen. In dieser Situation ist aber gerade in Deutschland auch eine Wiederbelebung der ML-Ideologie der gescheiterten pseudo-sozialistischen Diktaturen des Ost-Blocks zu verzeichnen.
Die dreiste Leugnung des repressiven Charakters dieser Polizeistaaten gegenüber ihrer Bevölkerungsmehrheit, das Abschmettern jeder linken Kritik, sowie Mythen über „sozialistische Errungenschaften“ in solchen Staaten treiben neue Blüten. Überreste der DDR-Nomenklatura finden dafür in der linken Öffentlichkeit, u.a. in der „jungen Welt“ eine Plattform.
Angewidert von der antikommunistischen Propaganda entdecken aber auch manch junge Linke plötzlich scheinbare „Vorzüge der DDR“. Auf diese Weise tappen Linke aber nicht nur in die Falle der Neutralisierung antikapitalistischer Strömungen durch die Herrschenden; diese können nämlich die negativen Erfahrungen vieler Menschen in Ost und West mit dem untergegangenen System gegen die Linke mobilisieren.
Jene Linken sind auch dazu verdammt, erneut autoritäre Wege zu betreten, die nicht über den heutigen Kapitalismus und die in langen geschichtlichen Kämpfen gegen Kapital und Staat erstrittenen Freiheiten hinausführen, sondern dahinter zurückfallen.
Die bisherigen „real-sozialistischen“ Verhältnisse haben sich als antiemanzipatorische Sackgassen erwiesen. Deshalb ist für die Suche nach Alternativen zum Kapitalismus im 21. Jahrhundert eine radikal emanzipatorische Neubestimmung von Theorie und Praxis der antikapitalistischen Linken notwendig. Eine (selbst-)kritische Auseinandersetzung mit den Fehlern und Irrtümern der eigenen Geschichte ist dafür eine ebenso unverzichtbare Voraussetzung, wie neue Antworten auf veränderte geschichtliche Bedingungen.
Diese Erkenntnisse sollten den Ausgangspunkt jeder heutigen Debatte über antikapitalistische Perspektiven bilden. Deshalb wollen wir in drei zusammengehörenden Veranstaltungen darüber diskutieren, ob und inwiefern eine Alternative zum Kapitalismus für verschiedene emanzipatorische Strömungen der antikapitalistischen Linken heute noch unter dem Leitstern eines „Kommunismus“ stehen kann? Oder hat die geschichtliche Praxis von Bolschewismus und Stalinismus Begriff und Idee so verschlissen, dass sie durch andere Leitideen ersetzt werden müssten?
In einer ersten Veranstaltung unserer Reihe wollen wir deshalb darüber diskutieren, wie das Verhältnis verschiedener emanzipatorischer Strömungen der antikapitalistischen Linken zum „real existierenden Sozialismus“ war und ist. Dabei wollen wir mit Lügen und Geschichtsmythen aufräumen.
Eng verbunden damit soll in einer zweiten Veranstaltung dem Problem nachgegangen werden, wie sozialistisch der „real existierende Sozialismus“ jenseits aller Mythen überhaupt war? Damit sollen die verschiedenen Strömungen, die wir eingeladen haben auch bestimmen, was sie unter „Sozialismus“ überhaupt verstehen. Ebenso wollen wir ausloten, worin die verschiedenen Strömungen die Ursachen für die Fehlentwicklung des Ost-Blocks sehen und wie sie den Charakter dieser Gesellschaften rückblickend einschätzen.
In einer dritten und letzten Veranstaltung wollen wir uns darüber austauschen, welche emanzipatorischen Auswege aus dem Kapitalismus sich nach dem Scheitern des „real existierenden Sozialismus“ ergeben. Können diese gesellschaftlichen Alternative(n) noch mit dem Begriff „Kommunismus“ assoziiert werden?
Ich stimme Gehrke, Hürtgen, Klein und Seeck ausdrücklich zu: Allein die historische Wahrheit kann nur der Maßstab sein, zur Beurteilung der Politik der SED. Die ideologisch verfassten Schimpfkanonaden von orthodoxen Linken gehen an der Realität vorbei und landen im Nichts.